Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
verschlungenen Tentakel des organisierten Verbrechens und der Politik analysiert. Es gab viele Motive, um sie zum Schweigen zu bringen. Aber das wäre in Moskau doch viel leichter zu bewerkstelligen gewesen. Warum nur hatte der Mörder ausgerechnet in Finnland zugeschlagen?
Durch die großen Fenster fiel das gleichmäßige Licht des bewölkten Morgens in die Eingangshalle. Andrej Nowikow hielt die Hand unter einen Desinfektionsmittelspender, verrieb die ölige Flüssigkeit sorgfältig und drückte mit dem Ellenbogen auf den Knopf, der die elektrische Tür zur Krankenstation öffnete.
Er betrat einen Gang, auf dem einige Patienten und Schwestern in weißen Kitteln herumliefen. Eine Frau mit einer Infusion wurde gerade in eines der Zimmer geschoben.
Nowikow ging weiter und passierte den Empfangsschalter des Stationszimmers. Es war leer. Neben der Tür von Zimmer 12 saß ein Mann in Windjacke. Nowikow ging nicht an dem Zivilpolizisten vorbei, sondern bog vorher in den Aufenthaltsraum ab, wo einige Patienten Zeitung lasen oder fernsahen. Feliks hatte ihm von der Bewachung erzählt.
Nowikow setzte sich und nahm eine Zeitung in die Hand. Im Frühstücksfernsehen wurde über den Mord an Vera Dobrina in einer Wohnung in Helsinki berichtet. Man zeigte einen Ausschnitt von der Pressekonferenz. Aus ermittlungstechnischen Gründen schwieg die Polizei über die Einzelheiten des Falls.
»Vera Dobrina ist als Journalistin für ihre heftige Kritik an der russischen Regierung bekannt geworden. Die Polizei lässt sich vorerst aber nicht auf Spekulationen darüber ein, ob der Mord politisch motiviert gewesen sein könnte. Bei uns im Studio ist jetzt der Russlandexperte Heikki Mattila vom Aleksander-Institut zu Gast. Herr Mattila, was hat es zu bedeuten, wenn eine russische Dissidentin in Finnland ermordet wird?«
In dem Moment erstarrte Nowikow. Elina Aro kam in normaler Straßenkleidung den Gang entlang, gefolgt von dem Zivilpolizisten.
Nowikow tat so, als konzentrierte er sich auf die Zeitung. Elina Aro und der Polizist gingen am Aufenthaltsraum vorbei und öffneten die Stationstür. Nowikow faltete die Zeitung zusammen, stand auf und folgte ihnen.
11
Elina schaute ihren Vater an und glaubte, ein Lächeln auf seinen blassen Lippen zu erkennen. Er war an Kontrollgeräte angeschlossen, die neben ihm auf einem Gestell standen. Sein Bett war mit einem weißen Vorhang abgeschirmt.
Elina hätte gern seine Hand genommen, traute sich aber wegen der Kanüle im Handrücken nicht. Das Wichtigste war, dass sie sich gesehen hatten. Zärtlich streichelte sie ihrem Vater die Wange, dann kehrte sie auf den Gang zurück, wo der Polizist auf sie wartete. Zusammen gingen sie zu dem Besuchszimmer, in dem sie mit Sebastian verabredet war. An der Tür hüpfte Elinas Herz vor Freude, es kam ihr vor, als hätte sie seit Jahren nicht mehr so hemmungslos gestrahlt.
Sebastian stand aufrecht und ernst am Fenster. Die Bartstoppeln in seinem gebräunten Gesicht waren länger als sonst.
»Was geht hier eigentlich vor?«, fragte er auf Deutsch und schlang die Arme um Elina.
»Würden Sie uns bitte alleine lassen?«, bat Elina den Polizisten, der nach kurzem Zögern auf den Gang hinausging. Dann erzählte sie von den Ereignissen des Vorabends und der Nacht. Sebastians Gesichtsausdruck wechselte rasch von Ungläubigkeit zu Wut und von Wut zu tiefer Sorge.
»Glaubst du, es könnte sich um einen Auftrag des Kreml gehandelt haben?«, fragte er mit nachdenklichem und zugleich aufmerksamem Blick.
»Ich weiß es nicht. Aber als Vera nach Finnland kam, hatte sie einen großen Briefumschlag bei sich«, flüsterte Elina. »Siebat mich, ihn während ihres Besuchs an einem sicheren Ort aufzubewahren. Ich habe ihn in den Tresor meines Verlegers gebracht, wo auch mein eigenes Manuskript liegt. Vielleicht enthält das Kuvert enthüllendes Material.«
»Davon hast du doch nichts der Polizei erzählt?«
»Nein. Die Polizei soll nicht als Erste das persönliche Material von Vera lesen. Erst will ich es durchsehen und mir ein Bild davon machen.«
Sebastian nickte. »Am besten überprüfst du das so schnell wie möglich. Sollte das Material für die polizeilichen Ermittlungen von Bedeutung sein, musst du es unverzüglich weitergeben.«
»Ich werde zu meiner Sicherheit bewacht. Die Polizei folgt mir auf Schritt und Tritt.«
Sebastian deutete auf die Tür am anderen Ende des Raumes. »Weißt du, wo die hinführt?«
Elina blickte sich um. »Wahrscheinlich auf einen
Weitere Kostenlose Bücher