Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
Küche mit massivem Esstisch. Die Möbel waren alt, wuchtig und abgenutzt. Der Gesamteindruck war alles andere als gemütlich. Außerdem roch es muffig.
Riku stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf. In dem Vorraum unter der Dachschräge standen ein Korbsessel und ein Glastisch mit einem Stapel alter Zeitungen und Zeitschriften – es waren sehr alte Ausgaben.
Elina war Riku gefolgt und betrachtete den Stapel. »Die Wochenpost … die beliebteste Wochenzeitung der DDR.« Sie nahm eine davon in die Hand. »Vom Juni 1986. In gewissen Kreisen scheint Ostalgie noch immer angesagt zu sein.«
Riku öffnete eine Tür, tastete nach dem Lichtschalter und musste im Licht der Glühbirne, die von der Decke hing, eine Zeit lang blinzeln. Der Raum war mit allerhand Zeug angefüllt. Rikus Blick fiel auf eine Uniform, die samt Mütze an einem Garderobenhaken hing. Die Wände waren mit Karten, Bildern und Fotos tapeziert … eine Parade in Berlin, MiG-Kampfflugzeuge in Formation, Panzer, Parteiführer Erich Honecker und Generalsekretär Leonid Breschnew vor dem Kreml.
»Ostalgie pur«, sagte Elina beim Blick in das Zimmer. Allerdings schwang ein wenig Unsicherheit in ihrer Stimme mit. Sie trat näher an die Uniform heran und betrachtete die Ordenszeichen an der Brust. »Wenn die Gerhard Frey gehören, ist er ziemlich effektiv gewesen. Vielleicht ist es doch mehr als Ostalgie.«
Riku sah sich eine der Karten an der Wand an, auf der rote Flammensymbole eingezeichnet waren, die von Osten her nach Westen vorrückten.
»Atomwaffenschläge auf Westeuropa«, bemerkte Elina. »Die Ostblocksoldaten, die an vorderster Front nach West vorgerückt wären, hätten Strahlung abbekommen, aber darüber machte man sich keine Gedanken.«
»Wir müssen die Augen offen halten«, erklärte Sebastian, der in der Tür erschienen war. »In der Privatsammlung einesStasi-Offiziers kann sich durchaus etwas sehr Interessantes finden lassen.«
»Ich glaube, das Interessanteste ist schon mitgenommen worden«, erwiderte Riku und deutete auf ein Regal. »Und zwar erst vor Kurzem. Überall sonst liegt eine Staubschicht, an dieser Stelle im Regal aber nicht.«
Sie schauten in die großen Schränke, die ebenfalls voller alter Sachen waren: eine Schmalfilmkamera, Ziergegenstände, Bücher, ein Toaster, ein Staubsauger – alles aus DDR-Zeiten.
Riku blätterte in einem Fotoalbum, dessen Bilder aus den Achtzigerjahren zu stammen schienen. Er befürchtete und hoffte zugleich, ein bekanntes Gesicht zu erkennen.
Melker Schwarz näherte sich dem Haus von Gerhard Frey, in der einen Hand eine Waffe, in der anderen Hand einen Kanister mit brennbarer Flüssigkeit. Er hatte sein Auto ein Stück weit entfernt abgestellt, nachdem er den Landrover am Straßenrand entdeckt hatte. Im Haus brannte Licht.
Ein gewöhnlicher Einbrecher? Oder hatte Feliks konkrete Vorahnungen gehabt und deshab den Befehl zum sofortigen Aufbruch gegeben? Bei Feliks schien das die wahrscheinlichere Variante zu sein.
Der Befehl war bedingungslos gewesen: Das Haus sollte sofort in Brand gesetzt werden. Zuvor aber musste er herausfinden, wer sich im Haus aufhielt.
Schwarz zog auch die Möglichkeit in Betracht, dass der Sohn von Claus Berger, der auch schon bei Bauer gewesen war, Frey auf der Spur war. Er wollte Feliks allerdings nicht beunruhigen, bevor er sich nicht selbst Gewissheit verschafft hatte. Frey hatte ein Eremitendasein geführt und angeblich keine Verwandten, aber vielleicht hatte ein entfernter Freund angefangen, den Verschwundenen zu suchen? Allerdings wohl kaum mitten in der Nacht.
46
Elina betrachtete die Konservendosen in der Küche, die ebenfalls noch aus DDR-Zeiten stammten. Hatte Frey einst so viele davon gehortet, dass immer noch welche übrig waren? Oder standen sie nur als nostalgischer Zierrat herum?
Plötzlich sah sie aus dem Augenwinkel, dass sich vor dem Fenster etwas bewegte. Sie glaubte, die Umrisse eines Mannes wahrgenommen zu haben.
»Im Garten ist jemand«, rief sie hastig zu Sebastian hinüber, der im Wohnzimmer das Bücherregal in Augenschein nahm.
Unverzüglich lief er zur Haustür.
Melker Schwarz erkannte den Mann an der Haustür: Es war Sebastian Keller, der Sohn von Claus Berger. Aber wer war die Frau in der Küche?
Schwarz wusste, dass es von Frey keine Fotos gab. Wegen seiner Stasi-Position hatte er sein Leben lang darauf geachtet, nicht fotografiert zu werden. Da er nur fünf Jahre älter als Schwarz gewesen war, bot sich Melker eine hervorragende
Weitere Kostenlose Bücher