Die schöne Ärztin
wurde das erste Protokoll aufgenommen. Die Gipsabdrücke der Reifenspuren wurden vorsichtig verpackt, die halbleere Chiantiflasche, die man neben dem Matratzenlager gefunden hatte, in ein Tuch gehüllt. Schon die erste Bestäubung mit dem daktyloskopischen Spezialpuder hatte wunderbare Fingerabdrücke sichtbar gemacht. Die meisten mußten von Cabanazzi stammen, aber auch ein sehr schmaler Abdruck war zu sehen. Der Fingerabdruck einer Frauenhand.
»Wir werden ihn finden, Herr Doktor«, sagte der Polizeimeister zuversichtlich. »Nun, da wir die Abdrücke haben und wissen, daß er noch im Lande ist. Gerade als Italiener fällt er ja überall auf. Sie sollen mal sehen, wie jetzt die Großfahndung anläuft.«
Das klang stolz und siegesgewiß. Dr. Fritz Sassen teilte diese Polizeiansicht nicht. Er kannte Veronika und die Möglichkeiten, die zu ersinnen sie fähig war. Für die Polizei war die Familie Sassen ein unbescholtener Personenkreis, und so lange sie das war, jagte man mit Cabanazzi nur ein Phantom.
Dr. Fritz Sassen war außerordentlich verwundert, als nach der Abfahrt des Polizeiwagens aus den Büschen des Bergener Bruches eine Gestalt auftauchte und auf ihn zukam.
»Mario Giovannoni«, stellte sich der Mann vor, als er vor Fritz Sassen stand. »Ich bin Ihnen nachgefahren.«
Er sprach fließend deutsch. Das war das Erstaunliche an diesen Leuten.
»Was wollen Sie?« fragte Fritz Sassen grob. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Ich bin Schlepper auf der Zeche.«
»Sie gehören zum Italienerlager?«
»Ja.« Mario versuchte ein entschuldigendes Lächeln. »Ich habe die Aufgabe, auf Luigi aufzupassen. Wir haben auch alles durchsucht. Aber daß er hier war, das haben wir nicht geahnt. Sonst gäbe es kein Problem Cabanazzi mehr.«
Dr. Fritz Sassen spürte ein eisiges Kältegefühl auf seiner Haut. Hatte also Veronika doch nicht zuviel erzählt mit ihren Hinweisen auf die Mafia. Er starrte den kleinen, schwarzlockigen, lächelnden Italiener an und wußte plötzlich, was mit ›es gäbe kein Problem mehr‹ gemeint war.
»Ob das die richtige Methode ist?« sagte er beklommen. »Ich kann Ihnen nur sagen, daß das hier nicht geht.«
»Wir haben unsere eigenen Gesetze, signore dottore. Wissen Sie, daß Cabanazzi in Sizilien vier Morde begangen hat?«
»Nein.«
»Aber es ist so. Er ist geflüchtet und in Deutschland untergetaucht. Wir ahnten es alle nicht. Aber Enrico Pedronelli brachte uns die Beweise mit.«
»Wer ist Pedronelli?«
»Ein Freund, der uns geschickt wurde.«
Wieder verspürte Fritz Sassen das Kältegefühl auf seiner Haut. Mein Gott, dachte er, wer ahnt so etwas, wenn er durch Buschhausen geht oder sonntags am Fußballplatz steht und die gemischte deutsch-italienische Mannschaft siegen sieht. Wer kann wissen, was hinter diesen Fassaden von Lachen und Freundschaft vor sich geht, welche dunklen Mächte regieren und wie gefährlich es ist, sich ihnen entgegenzustellen.
»Wo ist dieser Pedronelli jetzt?« fragte Fritz Sassen. Mario Giovannoni hob die Schultern.
»Das wissen wir nicht. Er sucht … wie wir …«
»Ich würde Ihnen raten, die Finger davon zu lassen.«
»Das geht nicht, signore.«
»Wir sind hier nicht auf Sizilien!«
»Aber wir sind hier und haben unsere Gesetze mitgebracht. Es sind gute Gesetze, signore dottore! Sie reinigen uns vom Schmutz! Sie schützen unser Ansehen.«
»Was Ihr ›Spezialist‹ vorhat, ist bei uns Mord.«
»Das mag sein. Die Welten sind verschieden, signore. Aber glauben Sie mir, Ihr Land wird keine Sorgen damit haben. Enrico kommt und geht … keiner weiß ja, ob er überhaupt Pedronelli heißt.«
»Ich bin verpflichtet, unsere Polizei einzuschalten.«
»Was wäre das Ergebnis, signore? Pedronelli würde verschwinden. Ein anderer käme, von dem Sie nichts mehr wissen würden. Cabanazzi ist und bleibt verloren, signore. Keiner kann ihn mehr retten.«
Nach dem Mittagessen in Gelsenkirchen fuhren Waltraud Born und Dr. Pillnitz nach Buschhausen zurück. In dem aufgeforsteten Haldengelände hielten sie an und wanderten durch den Birkenwald bis auf eine Höhe, von der sie das Land überblicken konnten.
»Was glauben Sie, wie kräftig ich mich fühle«, sagte er, als Waltraud daran zweifelte, daß er den steilen Weg schaffen würde, und davon abriet. Am letzten Stück wäre er aber dann doch beinahe gescheitert. Waltraud mußte ihm helfen, sie zog und schob ihn, er hing an ihr, biß die Zähne aufeinander, seine Muskeln zitterten und kalter Schweiß rann ihm
Weitere Kostenlose Bücher