Die schöne Ärztin
und sehnsüchtig ins Lager blickte, vor allem die Mädchen; aber niemand wagte es, durch das offene Tor zu gehen. In Buschhausen kursierte eine heimliche Warnung, die jedem bekannt war: Dem Mädchen, das sich mit einem der Itacker einläßt, werden die Haare geschoren, so wie man es damals in Frankreich mit den Mädchen machte, die sich mit deutschen Soldaten anfreundeten. Und mit Honig werden sie beschmiert und in Federn gewälzt. In ›Onkel Huberts Hütte‹ sagte es Theo Barnitzki ganz klar: »Unsere Mädchen sind für uns da. Wir brauchen keine Italiener. Die Kinder machen wir uns allein.«
Unter jubelndem Gebrüll wurde diese Resolution angenommen. Was die Mädchen darüber dachten, danach fragte man nicht. Eine Warnung war das Schicksal der Lotte Krackebusch, einer neunzehnjährigen Küchenhilfe mit blonden Haaren, die einmal angetroffen wurde, wie sie einen Italiener hinter einer Scheune küßte. Am nächsten Tag wurde sie aufgefunden im Garten des elterlichen Hauses, blau und grün geschlagen und auf der Brust ein Schild: »Hura italiana«.
So etwas spricht sich schnell herum, und Pater Wegerich verzichtete darauf, die Kumpels mit Worten von diesem Pfad abbringen zu wollen. Schließlich mußte er sich aus seiner Zeit in Italien selbst eingestehen, daß dort die Männer noch ganz anders umsprangen mit ihren Mädchen, die nach einem Ausländer schielten.
So war die Situation, als sich Enrico Pedronelli aufmachte zu Pater Paul Wegerich.
»Wer sind Sie?« fragte Pater Wegerich, der seinen Besucher ja noch nicht kannte, in deutscher Sprache, als sich die beiden gegenüberstanden.
»Mein Name ist Enrico Pedronelli«, antwortete der Gast auf italienisch. »Haben Sie ein bißchen Zeit für mich, padre?«
»Woher wissen Sie, daß ich italienisch spreche?«
»Wir wissen alles über Sie, padre. Ich kann Ihnen sogar sagen, wie der Esel hieß, auf dem Sie zu den Kranken bei uns geritten sind.«
»Bei Ihnen?«
»Ja, bei uns auf Sizilien.«
Pater Wegerich lachte. Er dachte an jenen Esel, einen störrischen Bock, mit dem er oft seine liebe Not gehabt hatte. Trotzdem war ihm etwas unbehaglich zumute bei seinem Lachen. Sizilien, der Ausdruck allein, weckte nicht nur lustige Erinnerungen.
»Was führt Sie zu mir?« fragte der Pater.
»Ich suche Cabanazzi, padre.«
Das war's also. Pater Wegerich wußte sofort, daß die Mafia vor ihm stand, die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹, wie sie sich selbst aus tiefster Überzeugung nannte. Und er wußte auch, daß er zu absoluter Untätigkeit, zu völliger Ohnmacht verurteilt war.
»Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte er, froh darüber, damit nicht lügen zu müssen.
»Schwören Sie mir, daß das stimmt!«
»Ich schwöre nicht. Es muß Ihnen genügen, daß ich das sage.«
»Ich glaube Ihnen«, entgegnete Pedronelli sichtlich enttäuscht. »Wir kennen Sie. Dann kann ich auch schon wieder gehen.«
Er verbeugte sich und wandte sich der Tür zu.
»Signor …«, sagte Pater Wegerich. Pedronelli blieb noch einmal stehen. Der Pater startete einen Versuch, von dem er von vornherein wußte, daß er zum Scheitern verurteilt war. »Signor«, sagte er, »können Sie nicht unverrichteter Dinge nach Hause fahren?«
Das Erstaunen in Pedronellis Gesicht war groß.
»Nein, padre.«
»Können Sie nicht das, was Sie hier in die Hand nehmen wollen, Gott überlassen?«
»Nein, padre.«
Enrico Pedronelli sprach ruhig und freundlich. Er war deshalb so erstaunt, weil ihm einer, der Sizilien kannte, solche Fragen stellte.
»Und Sie erwarten von mir«, sagte Pater Wegerich, »daß ich zusehe, was hier geschieht …«
»Ja, padre.«
»Daß ich die Hände in den Schoß lege …«
»Ja, padre.«
Dem Pater platzte der Kragen.
»Ihr seid wahnsinnig!« rief er. »Ihr könnt doch nicht annehmen, daß ihr hier auch in Sizilien seid!«
Pedronelli schwieg. Er sagte nicht ja, er sagte aber auch nicht nein. Was er dachte, war klar. Ein richtiger Mafioso ist davon überzeugt, daß die ganze Welt, wenn die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ es will, Sizilien ist.
Und das wußte auch Pater Wegerich. Er hat recht, dachte er das ist das Furchtbare. Ich kann nichts tun. Was denn? Zur Polizei gehen? Ich habe einmal erlebt, daß in einem ähnlichen Fall in Palermo einer zur Polizei rannte. Was war das Ergebnis? Er starb. Der, den er retten wollte, starb. Und sechs Polizeibeamte starben.
Enrico Pedronelli verließ den Pater, der ihm nachblickte und, nachdem sich die Tür hinter dem Sizilianer geschlossen
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