Die schöne Ärztin
kurz. Mir ist bekannt, daß Sie sich gern ein neues Grundstück im Birkenwald kaufen wollen, Ihr Sohn sprach davon. Es soll rund 10.000, – DM kosten. Darf ich Ihnen diese Summe zur Verfügung stellen?«
»Wofür?« fragte Holtmann ahnungsvoll.
»Dafür, daß Sie alles daransetzen, um dem Verlöbnis zwischen Ihrem Sohn und meiner Tochter ein Ende zu machen.«
Die Sitzung war zu Ende. Es ging ganz rasch.
»Raus!« sagte Hans Holtmann.
»Herr Holtmann –«
»Raus!« wiederholte der alte Püttmann mit einem Gesicht, das Herrn Sassen riet, der Aufforderung schleunigst Folge zu leisten.
Draußen im Gärtchen stieß er auf Elsi, die ihn verlegen grüßte.
»Frau Holtmann«, bat er sie, »können wenigstens nicht Sie meiner Tochter bestellen, daß sie mich anrufen möchte …«
»Doch, Herr Direktor, das werde ich ihr sagen.«
»Was macht sie denn in Essen, Frau Holtmann?«
»Einkaufen, Herr Direktor.«
»Einkaufen? Braucht sie denn etwas? Sagen Sie mir es, dann besorge ich das.«
»Ich glaube nicht, daß Sie das besorgen würden, Herr Direktor«, antwortete Elsi noch verlegener – und doch auch ein bißchen keck.
»Wieso nicht? Was ist es denn?«
»Babysachen.«
Was in Dr. Ludwig Sassen vorging, als er das hörte, hätte er gar nicht schildern können. Auf dem ganzen Weg nach Hause wiederholte er sich immer wieder nur: »Babysachen … Babysachen …«
In den folgenden Tagen lag wieder einmal ein trügerischer Frieden über Buschhausen und der Zeche Emma II. Alles vollzog sich wie üblich: Die Schichten fuhren ein und tauften die Kohle ab; ein Spezialtrupp besserte die Schäden, die durch das schlagende Wetter verursacht worden waren, wieder aus; neue Elektrokabel wurden gezogen; zusätzliche Bewetterungen wurden eingebaut; die gemauerten Dämme, die die Brandherde abschlossen, wurden verstärkt; die alltäglichen kleinen Unfälle geschahen, Quetschungen, Schürfungen, Brüche, und Waltraud Born hatte zusammen mit Dr. Pillnitz allerhand zu tun, um die Ambulanten zu versorgen.
Unruhe entstand unter den Kumpels, als man erfuhr, daß ein neuer Transport Italiener unterwegs war, noch einmal dreihundert Mann, und jeder fragte sich, was dieser Unsinn solle, da die Kohlenhalden ohnehin schon höher und höher wurden.
Die jungen Männer von Buschhausen setzten sich zusammen und gründeten einen Box- und Judo-Club. Das empfahl sich ihnen, damit sie sich später, wenn die dreihundert neuen Gastarbeiter eintrafen, bei den obligatorischen Schlägereien auch noch behaupten konnten. Es gab aber auch Pater Wegerich im Italienerlager Unterricht in Jiu-Jitsu. So war es wie beim Ost-West-Konflikt, nur im kleinen: Ein Nervenkrieg, der von Maßnahmen der Rüstung auf beiden Seiten begleitet wurde.
Im Hause Sassen war Ruhe eingekehrt. Man lebte völlig unter sich, denn die Kinder der ersten Ehe waren ausgezogen. Sabine wohnte bei den Holtmanns, Fritz Sassen hatte ein Appartement in Gelsenkirchen gemietet. Veronika tröstete ihren Mann, so gut es ging, und bestätigte ihm immer wieder, daß das Verhalten Sabines schamlos sei und nicht zu einer Sassen paßte.
»Ein Kind«, sagte sie mit aller Konsternation, die ihr fabelhaft glaubwürdig gelang. »Ein voreheliches Kind in unserer Familie! Was soll die Gesellschaft denken?«
Dr. Sassen steckte in einem großen Zwiespalt. Einerseits war Sabine seine Tochter, und er war auf dem Wege, Großvater zu werden, ein Ereignis, das immer große Wirkung erzielt. Andererseits war er zutiefst getroffen von der Art, wie ihn seine Tochter mit diesem Ereignis konfrontierte.
»Ich könnte dem Mädel eine runterhauen«, sagte er zu Veronika.
»Das hättest du früher und öfter tun müssen.« Veronika sah aus dem Fenster. »Es fehlt nur noch, daß auch Fritz und dies lächerliche kleine Ärztin heiraten müssen.«
»Mal den Teufel nicht an die Wand!« Dr. Sassen stampfte in dem großen Salon hin und her. »Ist denn gar keine Moral mehr unter den jungen Leuten?« Veronika schüttelte scheinheilig den Kopf. »Aber es hilft nichts«, sagte Dr. Sassen. »Sabine läßt mir keine Ruhe. Ich muß mich um sie kümmern.«
»Willst du ihr nachlaufen? Der Vater bettelt wie ein Hündchen um einen Knochen! Louis! Das ist unter deiner Würde!«
»Sie bekommt ein Kind.«
»Dann soll wenigstens sie den ersten Schritt zurück ins Elternhaus tun!«
»Sie hat einen Sassen-Schädel!«
»Und du keinen?«
»Vielleicht wartet sie nur auf ein Zeichen, auf ein Wort …«
»Sabine? Die?« Veronika lachte
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