Die schöne Ärztin
Weibern, dachte Dr. Pillnitz und fing an zu laufen. An alles hatte er gedacht, nur nicht daran, daß Dr. Waltraud Born so reagieren würde. Jede andere Frau hätte ängstlich gesagt: O Gott, was kann man da tun? Nichts! – Aber Waltraud Born reagierte ganz anders. Ich habe sie unterschätzt, dachte Dr. Pillnitz. Ihr kleiner, zierlicher Körper ist mit Energie und Mut geladen.
Dr. Fritz Sassen hatte zum letztenmal versucht, an die Vernunft zu appellieren. Der Lagerleiter wollte ihm beispringen, aber er wurde niedergeschrien. Schimpfworte wie ›Arschkriecher‹ und ›Scheißkerl‹ waren noch die mildesten für ihn. Willi Korfeck war es schließlich, der wieder das Signal zum Sturm blies.
»Sind wir zum Quatschen gekommen?« brüllte er. »Immer dasselbe! Kaum schwingt einer Reden, steht ihr rum wie die Pfeifenköpfe! Ran, Jungs!«
»Halt!« rief eine helle Stimme hinter ihnen. »Halt!«
Die Köpfe der Männer flogen herum. Um die Ecke rannte die junge Ärztin und fuchtelte mit den Armen. Ihr Atem flog, als sie Dr. Fritz Sassen erreichte.
»Was machen Sie denn hier?« fragte dieser sie und raunte ihr zu: »Bitte, verschwinde sofort wieder, das hier ist nichts für dich.«
Waltraud lehnte sich einen Moment an ihn, dann drehte sie sich um und wandte sich den Bergmännern zu.
»Schluß jetzt! Geht nach Hause!« rief sie mit ihrer hellen Stimme.
»Fräulein Doktor –«, Willi Korfeck ließ die drohend erhobene Eisenstange sinken, »Schwester Carla wurde –«
»Reden Sie nicht!« Waltraud trat auf Korfeck zu. »Ich weiß, was sie wurde. Aber von wem, das ist die Frage …«
»Von einem Itacker, klar!«
»So, das wissen Sie so genau?«
»Der Sack sagt doch alles!«
»Gar nichts sagt der!« Waltraud Born faßte einen irren Entschluß und fuhr fort: »Wie schnell das doch bei euch geht. Ich hörte, daß Schwester Carla bei der Polizei aussagte, daß es kein Italiener war –«
»Sondern?« schrien einige.
»Ein Deutscher.«
»Waaas?«
»Jawohl, er hat deutsch gesprochen, sogar euern Dialekt. ›Nu wehr dich mal nicht so!‹ hat er gesagt, ›einmal ist keinmal‹- Klingt das italienisch?«
Die Männer sahen einander betreten an. Was nun? Mist, dachten sie wohl. Ausgesprochener Mist! Einer von uns, ein Buschhausener? Wer von uns ist denn so ein Schwein? Gibt's denn das?
Die Luft war raus. Die Männer ließen ihre Knüppel verschwinden.
»Man wird den Täter finden«, ließ Waltraud Born nicht locker. »Dann könnt ihr euch immer noch mit ihm befassen.«
Willi Korfeck gab das Kommando, das als einziges übrigblieb: »Kehrt marsch!«
»Du hast eine Katastrophe verhindert«, sagte etwas später Fritz Sassen zu Waltraud, als sie allein waren. »Aber diese Aussage der Schwester Carla ist mir neu. Woher hast du sie?«
Waltraud lächelte schwach, als sie zur Riesenüberraschung Sassens sagte: »Sie stimmt nicht. Ich habe sie erfunden.«
»Bist du verrückt?«
»Ich konnte nicht anders. Es war der einzige Weg, dich vor der Meute zu retten.«
»Waltraud!« Dr. Sassen drückte sie an sich. »Du bist tatsächlich verrückt. Wenn das man gut geht. Aber eine Katastrophe hast du jedenfalls verhindert, das läßt sich nicht anders sagen.«
An der Ecke der Waschkaue stand Dr. Pillnitz, als der Sturmtrupp mit wütenden, verschlossenen Gesichtern heranmarschierte. Einer von uns, dachte jeder der Männer. Gnade Gott, wenn wir den erwischen! Willi Korfeck sah den Arzt zuerst und grüßte.
Dr. Pillnitz erwiderte den Gruß nicht. Mit verächtlich heruntergezogenen Mundwinkeln wandte er sich ab. Korfeck und seine Leute hatten ihn enttäuscht.
Am nächsten Morgen stand auf dem Schreibtisch Dr. Waltraud Borns ein großer Feldblumenstrauß.
Die Putzfrau sagte, eine Abordnung der Italiener habe ihn abgegeben. Sie wüßte schon, warum.
Noch nie hatte sich Waltraud Born über einen Blumenstrauß so gefreut wie über dieses Geschenk dankbarer und verängstigter Herzen.
Am Tresen der Wirtschaft ›Onkel Huberts Hütte‹ stand Luigi Cabanazzi und trank einen Schoppen Rotwein. Es war zwar kein Chianti, kein Barbera und kein Nostrano, sondern ein leichter, französischer Rotwein. Serviert hatte ihn Martha Kwiatlewski, die rote ›Bardame‹ von ›Onkel Huberts Hütte‹. Jetzt lehnte sie am Tresen, putzte die Kupferhähne und schwenkte ihren mächtigen Busen, der unter dem engen Pullover ein aufregendes Dasein führte. Es war unmöglich, daß Cabanazzi ihn übersehen konnte. Was an Fülle und Form geboten wurde, sprang zu
Weitere Kostenlose Bücher