Die schöne Ärztin
ihm den Unterkiefer lädiert.«
Veronikas Gesicht wurde blaß. »Das warst du!« stieß sie dann hervor. »Du Teufel!«
»Ich kann deinen Verdacht leider nicht bestätigen. Luigi Cabanazzi wurde in einem Lokal zusammengeschlagen, weil er ein Mädchen belästigt hatte.«
»Das ist nicht wahr!«
»Es ist schmerzlich für dich … aber auch du scheinst den Söhnen des Südens nicht mehr als Tagesration zu genügen.«
Die Lippen Veronika Sassens wurden zu einem Strich. Dr. Pillnitz sah mit tiefer Befriedigung, daß sie Mühe hatte, die Haltung einer Dame zu bewahren.
»Ich will ihn sprechen.«
»Unmöglich. Ich habe strengstes Besuchsverbot erlassen.«
»Das gilt doch nicht für mich.«
»Gerade für dich!«
»Ich werde mit Frau Dr. Born darüber sprechen.«
»Die ist mir unterstellt. Sie kann dich nicht vorlassen, wenn sie ihre Stellung nicht riskieren will.«
»Und was hast du mit Cabanazzi vor?«
»Welche Frage. Ich heile ihn!«
Veronika sah Dr. Pillnitz fragend an. Sein Gesicht war verbissen.
»Ich werde ihn in ein anderes Krankenhaus verlegen lassen«, sagte sie trotzig.
»Und wer bezahlt das? Die Frau Direktor? Die Zechenkasse bestimmt nicht.«
Veronika sah auf die Uhr. »Es ist noch früh«, sagte sie, als sei das Thema für sie abgeschlossen. »Wir haben noch Zeit.«
»Natürlich. Luigi kommt ja nicht mehr.«
»Bist du mit deinem Wagen gekommen?«
»Ja.« Dr. Pillnitz sah Veronika verwundert an.
»Fahren wir etwas durch die Gegend, ja?«
»Gerne. Aber warum?«
»Das erkläre ich dir später.« Sie klappte ihre Handtasche auf, nahm einen Spiegel und den Lippenstift heraus und malte die Konturen ihrer Lippen nach. »Erwarte keine Neuauflage der Vergangenheit … ich will ganz nüchtern mit dir reden.«
»Ich würde auch nie mit einem Cabanazzi teilen!« sagte Dr. Pillnitz heiser.
»Komm. Gehen wir …«
Auf der Provinzialstraße stand das Auto von Pillnitz. Sie stiegen ein und starteten. »Wohin denn?« fragte er.
»Ach, das ist gleich.« Sie lächelte ihn an. »Nach Essen, nach Herne, nach Recklinghausen, zum Kanal, es ist egal. Einfach so durch die Gegend …«
Luigi Cabanazzi schlief. Er hatte eine Injektion bekommen.
Waltraud Born hatte ihren Spaziergang mit Dr. Fritz Sassen absagen müssen. Sie hatte den Dienst im Krankenrevier übernommen. Eigentlich wäre Dr. Pillnitz an der Reihe gewesen, aber eine Konferenz, zu der er mußte, warf alles ein bißchen durcheinander.
Das Telefon läutete. Waltraud Born hob ab und meldete sich: »Krankenrevier, Zeche II, Dr. Born …«
»Hier spricht Veronika Sassen«, antwortete eine arrogante Stimme. Die Frau des Direktors. Was konnte sie wollen? Waltraud räusperte sich. »Ja?« sagte sie fragend. »Was kann ich für Sie tun, Frau Sassen?«
4
»Wie geht es Herrn Cabanazzi?« Die Stimme war ganz ruhig und von einer übertriebenen Gleichgültigkeit. Dr. Born wunderte sich. Die Frau des Direktors erkundigt sich nach dem Befinden eines italienischen Gastarbeiters! Waltrauds Instinkt wurde wach, jenes feine Gefühl für innere Spannungen, das nur Frauen besitzen.
»Es geht ihm gut«, antwortete Dr. Waltraud Born. »Ich hoffe, wir können ihn morgen schon ins Lager transportieren. Aber er muß dort noch vierzehn Tage liegen. Er hat eine mittelschwere Gehirnerschütterung.«
»Kann ich ihn besuchen?«
Dr. Born hob die Augenbrauen. Ihr Gefühl begann, Konturen zu gewinnen.
»Sie –?« fragte sie gedehnt zurück.
»Warum nicht?«
»Verzeihen Sie, aber es ist ungewöhnlich, daß –«
»Ich weiß, was Sie sagen wollen, Fräulein Doktor.« Die Stimme Veronikas war härter geworden. »Ich komme zu Ihnen. Ich werde zu Ihnen von Frau zu Frau sprechen. Das mag Sie vielleicht überraschen, aber ich habe meine Gründe, gewissen Konventionen zu sprengen. Bitte, wundern Sie sich nicht. Ich erkläre Ihnen alles. In einer halben Stunde bin ich draußen bei Ihnen.«
Es knackte im Hörer, Veronika Sassen hatte eingehängt. Langsam legte auch Dr. Born den Hörer auf die Gabel.
Also doch, dachte sie. Mein Gefühl war richtig. Himmel nochmal – in welch einer Welt leben wir, was sind das für Zustände, die arrogante Frau des Direktors hat ein Verhältnis mit einem italienischen Gastarbeiter!
Sie fuhr zusammen. Das Telefon schellte schon wieder. Sie hob den Hörer ab und vernahm noch einmal die Stimme Veronika Sassens.
»Ich habe noch etwas vergessen, Dr. Born«, sagte Frau Sassen. »Dr. Pillnitz ist verunglückt … vorhin … mit seinem Wagen … Ich
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