Die schöne Ärztin
wurden die Tore geschlossen wie die eines riesigen Leichenhauses. Und damals wie heute gab es für die Frauen nur eins: warten und beten. Beides taten sie still, mit erschütternder Ergebenheit.
Für Kurt Holtmann und Dr. Fritz Sassen gab es kein Zögern. Sie schlüpften in ihre Bergmannskleidung, setzten den Helm mit der Batterielampe auf und fuhren mit dem nächsten Korb ein. Drei Ärzte befanden sich im gleichen Korb, vier Steiger, zehn Männer eines Spezialwettertrupps und Pater Paul Wegerich. Er war plötzlich ebenfalls da, stand neben dem Korb und niemand hinderte ihn daran, mit in die Tiefe hinabzufahren.
In der Lampenausgabe saß Dr. Ludwig Sassen, der aus seiner Villa herbeigeeilt war, und telefonierte mit Gelsenkirchen und dem Konzern. Dr. Waltraud Born versorgte die ersten Bergmänner, die halb ohnmächtig ausgefahren wurden. Neben den Rettungswagen wurden sie einfach auf die Erde unter Sauerstoffmasken gelegt.
Die ersten zusammenhängenden Berichte kamen aus der Tiefe über Sohle 3. Über ein Nottelefon hatte von Sohle 6 ein Steiger angerufen. Er hatte sich in eine Umbruchstrecke retten können und keuchte und hustete.
»Der sechste Querschlag!« schrie er.
Dann war nur ein Rauschen in der Leitung, ein Prasseln und dumpfes Dröhnen. Der Boden bebte und wankte.
»Heinrich!« brüllte der Steiger auf Sohle 3 fassungslos. »Heinrich! Was ist denn? Red doch, Junge –«
Keuchen. Husten. Die erstickende Stimme: »Der ganze Querschlag ist zusammengestürzt durch die Explosion. Hinter dem Niederbruch brennt es. Es frißt sich die ganze Strecke entlang bis zu uns.«
»Wieviele sind denn unten, Heinrich?« brüllte der Steiger zurück.
»Über vierhundert! Wir werden gebraten! Hier brennt alles –«
Knacken. Schweigen. Und der Berg bebte noch immer.
Direktor Sassen nahm die ersten schriftlichen Meldungen entgegen und legte die Blätter auf einen dreckigen, kleinen Tisch. Sein Sohn hatte recht behalten. Die Bewetterung war ungenügend gewesen. Was in Gelsenkirchen auf taube Ohren gestoßen war, hatte jetzt durch die Katastrophe seine fürchterliche Bestätigung erfahren.
Generaldirektor Vittingsfeld hatte sofort nach Bekanntwerden des Unglücks zurückgerufen.
»Ich komme hinaus«, hatte er gesagt. »Halten Sie vor allem die Presse fern! Und keinerlei Kommentar, Sassen! Kein Wort! Zu niemandem! Schlagwetter gibt es überall! Und wenn sich erste Verlautbarungen nicht vermeiden lassen, dann so: Ausmaß ist nicht zu übersehen, Menschenverluste nach erster Schätzung gering. Auf jeden Fall zunächst bagatellisieren. Wir müssen vorsichtig sein. Ihr Sohn und dieser Holtmann werden ja jetzt triumphieren. Kann ich mit ihnen sprechen?«
»Nein.« Dr. Sassen hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Sie sind als erste vor einer Viertelstunde eingefahren.«
Er feuerte den Hörer zurück auf die Gabel und strich sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. Saustall, dachte er. Verfluchter Saustall. Er erhob sich und trat zum Fahrobersteiger.
»Besorgen Sie mir die Klamotten«, sagte er laut. »Ich fahre auch ein.«
»Aber Herr Direktor –«, stotterte der Obersteiger.
»Ich fahre ein!« herrschte ihn Dr. Sassen an. »Und zwar sofort!«
Mit dem nächsten Korb schwebte er hinab in 900 Meter Tiefe. Er kam in eine Hölle aus Hitze und Rauch.
Während über Tage die ersten Verletzten, die mit dem Korb ans Tageslicht gebracht wurden, von Dr. Born und vier anderen Ärzten der Umgebung versorgt und sofort mit den Rettungswagen in die umliegenden Krankenhäuser weitertransportiert wurden und während das Betriebsbüro am Zechentor den ersten Anschlag veröffentlichte: »Auf Sohle 6 hat sich eine Schlagwetterexplosion ereignet – Menschenleben sind noch nicht zu beklagen – Das Unglück scheint harmloser Natur zu sein«, rannten Dr. Fritz Sassen, Kurt Holtmann und die Rettungstruppe mit Sauerstoffmasken durch den Rauch, der die Stollen auf der 6. Sohle wie wallende Nebelschwaden füllte.
Vor der Einbruchstrecke prallten sie zurück. Die Hitze waberte ihnen entgegen. Es war unmöglich, näher an die Strecke heranzukommen. Dort brannte alles, die Kohle, die Verstrebungen, das Gerät, selbst die Steine glühten. Aus Querschlägen wurden Verwundete und Tote zum Förderschacht geschleift. Die meisten hatten von der Druckwelle einen Lungenriß bekommen, die Verletzten waren unter die niederstürzenden Steinbrocken geraten.
Am Füllort kniete Pater Wegerich neben den Sterbenden und gab ihnen das Sakrament der Letzten
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