Die schöne Ballerina (German Edition)
auf der Arbeitsfläche vor dem Fenster. Der Garten wirkte wie ein Bühnenbild. Unberührt lag der Schnee auf dem Rasen, und die Spitzen der Büsche und Sträucher, die Seth hatte pflanzen lassen, bogen sich unter der weißen Last. Und immer noch schneite es.
»Lass uns nach draußen gehen«, sagte Lindsay impulsiv. »Sieh nur, wie wunderbar der Garten aussieht!«
»Zuerst wird gefrühstückt. Hinterher müssen wir sowieso mehr Kaminholz hereinholen.«
»Der vernünftige Seth«, spöttelte Lindsay und rümpfte die Nase. »Immer so unwahrscheinlich praktisch.« Sie schrie übertrieben auf, als er sie leicht am Ohrläppchen zog.
»Architekten müssen praktisch sein, sonst würden ihre Häuser den Leuten auf den Kopf fallen.«
»Aber die Häuser, die du baust, sehen für meinen Geschmack absolut nicht praktisch aus.« Sie beobachtete ihn, wie er Eier, Butter und Speck aus dem Kühlschrank nahm. »Sie sind schön. Nicht wie die Kästen aus Stahl und Glas, die den Städten ihren eigenen Charakter rauben.«
»Schönheit kann auch praktisch sein.« Er kam mit den Zutaten für die Rühreier an den Tisch zurück. »Oder, besser ausgedrückt: Praktisches kann auch schön sein.«
»Ja, aber ich stelle es mir schwierig vor, Häuser zu bauen, die funktionell sind und gleichzeitig architektonisch reizvoll.«
»Wenn es nicht schwierig wäre, machte es nicht so viel Spaß.«
Lindsay nickte. Das konnte sie verstehen. »Wirst du mir nachher deine Entwürfe für das Neuseeland-Projekt zeigen?« Sie nahm das Toastbrot aus dem Brotkasten. »Ich habe noch nie den Entwurf eines Hauses gesehen.«
»Wird gemacht, Madam!« Er schlug die Eier in eine bunt bemalte Schüssel.
Sie bereiteten das Frühstück zu und setzten sich an den hübsch gedeckten Tisch. Lindsay fühlte sich in der Küche zu Hause. Der Duft von Kaffee, Toast und gebratenen Eiern ließ die Atmosphäre von Behaglichkeit aufkommen.
Ganz bewusst wollte Lindsay den heutigen Morgen in ihrer Erinnerung eingraben, damit sie in Zukunft noch davon zehren konnte.
Nachdem sie gegessen und die Küche wieder in Ordnung gebracht hatten, zogen sie sich warm an und gingen nach draußen.
Lindsay versank bis zu den Knien im Schnee. Lachend gab Seth ihr einen leichten Stoß, dass sie hinüber fiel und bis zu den Schultern in der Schneewehe verschwand.
»Am besten binde ich dir ein Glöckchen um den Hals, damit ich immer weiß, wo du zu finden bist!«, rief Seth.
Mühsam befreite Lindsay sich aus dem Schneehaufen und tat, als wäre sie wütend. »Brutaler Mensch«, schimpfte sie und lächelte gleichzeitig.
»Das Brennholz liegt da drüben auf dem Stapel«, verkündete Seth, nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her.
Zum Schein sträubte sie sich zuerst, bevor sie ihm folgte.
Es war, als wären sie auf einer Insel. Der Schnee hüllte sie ein und dämpfte die Geräusche, so dass sie kaum die Brandung hören konnten. Lindsay hatte Ruths Stiefel an. Obgleich sie ihr bis an die Knie reichten, drang von oben her immer mehr Schnee in die Schäfte. Die Kälte hatte Lindsay die Wangen gerötet, aber sie spürte sie nicht.
In diesem Augenblick wünschte sie sich, ein Maler zu sein, um die Schönheit um sich herum festzuhalten. Wenn doch die Zeit stillstünde, dachte sie. Ein größeres Glück wird es für mich nie geben.
»Du siehst traurig aus«, sagte Seth und zog sie in seine Arme. »Woran denkst du? Machst du dir Sorgen um deine Mutter?«
»Nein, nein. Ich bin nur so glücklich, dass es fast wehtut.«
Er sah ihr in die Augen, beugte ihren Kopf nach hinten und küsste sie. Lindsay spürte dann plötzlich, wie er erzitterte. Er riss sie hoch, nahm sie auf die Arme und ging auf das Haus zu.
»Seth, wir sind beide voller Schnee. Wenn wir so ins Haus gehen, wird alles nass«, versuchte sie ihn zurückzuhalten.
»Na und?«
Sie waren in der Halle, und sie strich sich die Haare aus den Augen.
»Seth, wo willst du denn hin?«
»Nach oben.«
»Du bist verrückt!« Sie versuchte sich loszustrampeln, während Seth sie die Treppe hochtrug. »Was meinst du, was Worth sagen wird, wenn wir die Teppiche voll Schnee machen?«
»Er wird’s überstehen.« Seth ging unbeirrt auf sein Schlafzimmer zu, stieß die Tür auf und legte Lindsay auf das Bett.
»Seth!« Sie richtete sich auf den Ellbogen auf.
»Es ist wohl besser, wenn du das nasse Zeug ausziehst.« Er zog ihr die Stiefel aus und begann ihr den Mantel aufzuknöpfen.
»Du bist wirklich verrückt«, rief sie lachend, als er ihr den
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