Die schöne Betrügerin
dehnten. Schließlich bewegte er den zerzausten Kopf langsam von links nach rechts.
»Gut. Dein Geheimnis wird diesen Raum nicht verlassen. Und was ist mit meinem?«
Er hob den Kopf und sah sie berechnend an. »Sie sind ziemlich clever für ein Mädchen.«
»Danke.« Sie stützte die Ellenbogen wieder auf die Knie, tippte sich ans Kinn und dachte nach. »Wenn du nicht lesen kannst, hat es keinen Sinn, mit einem Buch anzufangen. Ich werde dir heute Nachmittag eine Schiefertafel besorgen. Und morgen fangen wir mit den Buchstaben an. Was möchtest du bis dahin machen?« Er war wie der Blitz an der Tür.
»Dageblieben, Robert! Ich habe nicht gesagt, dass du gehen darfst.«
Er ließ die Schultern hängen, machte kehrt und stellte sich seufzend wieder vor sie hin. »Verdammt, fast hätte ich’s geschafft«, sagte er traurig.
Sie schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, über seine Ausdrucksweise zu schimpfen, das hätte ihn nur ermuntert. Sie kam auf eine neue Idee.
»Vielleicht sollten wir an unserem ersten Tag ein paar Redewendungen einüben, die ein junger Gentleman im Lauf des Tages braucht.«
Er kniff die Augen zusammen, und sein kleines Kinn bekam einen störrischen Zug. »Was, zum Beispiel?«
»Warum fangen wir nicht damit an: ›Guten Morgen, Mr. Walters. Es scheint ein schöner Tag zu werden. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen‹?«
Robbie juckte die Nase, und er rieb sie sich mit einem einigermaßen sauberen Handgelenk. »Guten Morgen, Mr. Walters… Es scheint… ein Tag… wir kriegen, einen schönen…« Robbies Gesicht wurde rot wie eine Runkelrübe, und er platzte mit einem schockierenden Fluch heraus, den ein Kind seines Alters nie hätte kennen dürfen.
Sie war fassungslos, nicht so sehr wegen der Worte, sondern weil er sie kannte. Wie musste sein kurzes Leben verlaufen sein, dass er seine Unschuld so früh verloren hatte?
Sie verbarg ihr Entsetzen und sah ihn nur abschätzig an. »Nicht schlecht«, sagte sie widerwillig. »Ein wenig begrenzt, was den Wortschatz betrifft, aber nicht schlecht.«
»Was meinen Sie damit?«
»Gassenjargon ist einfach nur vulgär. Wer wirklich gut fluchen will, sollte mehr als nur simple Geschmacklosigkeiten beherrschen.«
»Sie machen Spaß? Sie fluchen nicht. Sie sind eine Lady!«
»Ja, aber ich bin eine gebildete Lady. Weswegen ich ohne Punkt und Komma fluchen kann, ohne mir irgendetwas dabei zu vergeben.«
»Ha! Das möchte ich sehen.«
Sie lehnte sich zurück und ließ einen Wortschwall los, der ihr in jedem anständigen russischen Dorf einen Hagel Steine beschert hätte. Robbie gingen die Augen über, und sein Mund formte vor hilfloser Bewunderung ein O, während die Silben von ihrer Zunge rollten. Als sie fertig war, schluckte er.
»Uff, das war toll.« Er seufzte tief, offenkundig bewegt von ihrer Virtuosität. Dann steckte er sich einen Finger ins Ohr und drehte ihn nachdenklich. »Würden Sie mir was davon beibringen?«
»Wenn du willst. Was hältst du von einem Handel? Eine absolut obszöne russische Redewendung gegen einen absolut perfekten englischen Satz?«
Er überlegte eine Weile, musste aber zugeben, dass das Geschäft nicht schlecht war. Er nickte einmal, spuckte in die Hand und hielt sie ihr hin. »Abgemacht.«
Oh, nein. So bald schon? Phillipa unterdrückte mit aller Kraft ein Schaudern und brachte einen Tropfen Spucke für die eigene Handfläche zustande. Dann schüttelte sie Robbie fest die Hand. »Abgemacht.« Den Respekt in seinen argwöhnischen Augen steigen zu sehen war die Mühe wert.
Die Hand konnte sie sich später immer noch waschen.
Mit viel Seife.
Die nachmittägliche Einkaufstour fing gut an. Als Phillipa mit Robbie ein Buchgeschäft in der Portobello Road betrat, um nach einer Schiefertafel und einer Kinderfibel zu suchen, schien Robbie von der schieren Menge Bücher, die bis zur Decke hinauf in den Regalen standen, schwer beeindruckt.
Der Ladeninhaber hatte außerdem einen sehr schönen Globus auf seinem Schreibtisch stehen, von dem er sich nur schweren Herzens trennte. Dann schickte er sie weiter zum Schreibwarenhändler, wo sie Papier, Federn, Stifte und Tinte kaufte. Auch wenn Phillipa nicht so recht wusste, was sie eigentlich tat, das Schulzimmer würde bald brauchbar aussehen.
Die Schatten wurden schon länger, als sie schwer beladen nach Hause gingen. Robbie wurde immer langsamer und jammerte unverhohlen. Er war den Großteil des Tages über ein tapferer kleiner Bengel gewesen, aber jetzt hatte er Hunger.
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