Die schöne Betrügerin
gelangweilte, gleichgültige Haltung ein. Sie stützte einen Ellenbogen auf das Knie und legte das Kinn auf die Faust. »Das bezweifle ich. Du bist gerade mal acht oder neun Jahre alt. Kaum wahrscheinlich, dass ein Spion dir irgendwas erzählen würde.«
Mitten in einer gigantischen Kanonade waren die Kriegsspiele plötzlich vergessen. Robbie setzte sich auf, Entrüstung im kleinen Gesicht. »Warum nicht? Ich bin genauso gut wie jeder andere Mann in Wellingtons Armee. Sagt James.«
Phillipa spielte mit einem Kavalleristen. »Wie schaffen die das nur, dass diese winzigen Pferdchen so echt aussehen? Ach, denk dir nichts, Robbie. Eines Tages bist du alt genug, um selber ein richtiger Spion zu werden. Aber bis dahin sind es natürlich noch viele Jahre.«
Ihr Unglaube verletzte seine Gefühle, das sah sie seinem Gesicht an. In ihrem Magen regten sich Schuldgefühle. Sie war doch tatsächlich so weit gesunken, für ihre Zwecke ein unschuldiges Kind zu manipulieren.
Und schlimmer noch, sie war sogar gut darin.
Sie stellte den Soldaten weg und lächelte Robbie an. »Lass uns das Thema wechseln. Ich habe ein bisschen Hunger. Vielleicht sollten wir uns in die Küche schleichen und einen Teekuchen ausspionieren?«
Aber Robbie, dickköpfiger kleiner Überlebenskünstler, der er nun eben war, wollte davon nichts wissen. »Ich kenne mich mit Spionage sehr wohl aus. Ich werde es Ihnen beweisen!«
Er stand auf und sah sich um. Phillipa folgte seinem Blick durch das warme, überladene Arbeitszimmer. Überall hier war James’ Anwesenheit spürbar, in allen Büchern und Möbeln; deshalb war Robbie wahrscheinlich auch so gern hier. »Aha!« Robbie trat in Aktion. Er hastete durch seine sorgfältig arrangierte Schlachtordnung zu James’ Schreibtisch wo er das oberste Blatt von einem Stapel Papier zog. Er drehte sich um und winkte Phillipa triumphierend damit.
»Ich kann Ihnen zeigen, was er als Letztes geschrieben hat.«
Phillipa stand vorsichtiger auf, als Robbie es getan hatte. Keine vierfüßigen Soldaten mehr, danke, nein. »Rob, das brauchst du wirklich nicht. Komm, lass uns nach dem Teekuchen schauen.«
Aber nicht einmal Kuchen konnte Robbie von seinem Vorhaben abbringen. Er ging zum Kamin, wo das morgendliche Feuer noch trüb glühte. Der Tag war nicht allzu kalt, also hatte Phillipa die Kohlen herunterbrennen lassen. Robbie kniete sich direkt vor das Feuer.
»Was machst du da? Du wirst dich noch verbrennen!«
Er warf ihr nur einen verächtlichen Blick zu und fasste seitlich neben die Kohlen. Phillipa lief zu ihm und ging besorgt neben ihm in die Hocke. »Was suchst du denn? Nimm die Hand weg, du -«
Er zog die Hand tatsächlich schnell wieder weg, seine Finger waren schwarz vom Ruß. »Schauen Sie«, sagte er. Er legte das Papier auf die Kaminplatte und streifte mit seinen schwarzen Fingern leicht über das Blatt.
Wie von Zauberhand tauchten Linien auf, traten als dunkle Grate aus dem rußigen Papier. Phillipa beugte sich fasziniert näher heran. »Aber das ist eine Schrift! Was für ein toller Trick! Wer hat dir das beigebracht?«
»Das hat mir Simon gezeigt -«
Er stockte, und Phillipa sah, wie er dezidiert den Mund zupresste. Simon, hm. Etwa der Simon, der mit James Schwester Agatha verheiratet war?
Robbie beugte sich wieder über sein Werk, und das Blatt war schnell komplett geschwärzt. Es stand nicht viel darauf zu lesen, nur ein einziger Absatz, am oberen Seitenende.
Robbie reichte ihr das Blatt. »Lesen Sie.« Phillipa drehte den Kopf hin und her, aber wie immer sie auch las, es ergab keinen Sinn.
»Das ist bloß Gekritzel«, sagte sie enttäuscht.
Robbie kicherte. »Es ist spiegelverkehrt. Das ist die Rückseite. Sie müssen es in einem Spiegel lesen.«
»Tatsächlich.« Phillipa fasste das Blatt vorsichtig an den Ecken und trug es zu einem Spiegel, der über einem kleinen Sideboard hing. Sie hielt das Papier hoch und äugte das Spiegelbild an. Ihr erster Gedanke war, dass es sich definitiv um James’ Handschrift handelte, dieselbe wie in der Fibel, die sie gemeinsam gebastelt hatten.
Ihr zweiter Gedanke war, dass dieses Papier sie nichts anging. Das Mädchen, das sie einst gewesen war, hätte es ungelesen beiseite gelegt. Sie las es ganz genau.
»… und was bleibt, ist die Tatsache, dass Atwater den Feind systematisch mit kritischen Informationen aus unseren codierten Berichten gefüttert hat. Ich habe das Gefühl, dass uns kein anderes Mittel als die Eliminierung zur Verfügung
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