Die schöne Betrügerin
steht.«
Robbies Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.
»Was steht da?«
Phillipas taube Finger ließen das rußige Blatt zu Boden segeln. Sie starrte ihr eigenes Spiegelbild an und sagte nur ein einziges Wort.
»
Eliminierung.«
James Cunnington war ein Spion.
Ein Spion, der Papa tot sehen wollte.
Als James am Abend nach Hause kam, fand er Robbie schlafend auf dem Teppich seines Arbeitzimmers vor, was kein Grund zur Sorge war, denn bevor Phillip Walters ins Haus gekommen war, hatte der Junge seine Tage oft so beschlossen.
Aber das hatte sich eigentlich geändert. Der junge Hauslehrer kümmerte sich in jeglicher Hinsicht um Robbie, sorgte dafür, dass er badete und Tag für Tag zeitig zu Bett ging. Und Robbie hatte den neuen Tagesablauf angenommen wie ein Fisch das Wasser. Der arme kleine Kerl war geradezu versessen darauf, dass sich jemand seiner annahm.
James dachte wieder an seine eigene unerklärliche Unfähigkeit, Robbie in den Griff zu kriegen. Er hatte gedacht, es würde ganz einfach werden. Adoptiere dir einen Gassenjungen, füttere ihn, zieh ihn an, lass ihn etwas lernen und gib ihm ein Haus, in dem er wohnen kann.
Nicht weniger als das, womit er selbst herangewachsen war.
Aber auch nicht mehr
, sagte eine leise Stimme in seinem Kopf. Aber was gab es denn mehr? Er schrie Robbie nicht an, er schlug ihn nicht – er fasste ihn letztlich überhaupt nicht an. Es war alles so, wie es sein sollte.
Phillip tut aber mehr.
Nun, Phillip wurde auch dafür bezahlt, oder nicht? James legte Hut und Handschuhe ab und ging neben dem auf denn Bauch liegenden Robbie in die Hocke. Der Junge hatte Schmutz an den Fingern und einen Fleck auf der Wange.
Die Uhr im Eingang schlug zwölf. Es war viel zu spät für Robbie. Wo war Phillip?
James rüttelte Robbie an der Schulter. »Aufwachen, Rob.« Keine Reaktion. Das Kind schlief so fest, dass nur die regelmäßigen Atemzüge bezeugten, dass er am Leben war. James rüttelte nochmals ein bisschen an seiner Schulter. Immer noch nichts. Die kleinen Knochen unter seiner Hand fühlten sich so zart wie die eines Vögelchens an. Der Junge musste Fleisch ansetzen. Was brauchten Kinder eigentlich zu essen? Alles, woran James sich erinnern konnte, waren: Äpfel.
Und Milch. Große Gläser voller schäumender Milch oder ein heimlicher Schluck aus dem Krug, den sie im Brunnenhaus kühl gestellt hatten.
Nun, es war doch ganz einfach. In den Außenbezirken der Stadt gab es mehrere Molkereien, und die Milchwagen fuhren regelmäßig die Runde. Der Koch kaufte dort vermutlich Butter und Sahne. Er musste nur die entsprechende Order erteilen.
Das Ernährungsproblem war damit vermutlich gelöst, aber es blieb die Frage, warum Robbie nicht in seinem Bett lag. Zudem waren Phillip und Denny nirgends zu sehen.
»Es hilft ja nichts«, sagte James, zog den Gehrock aus und warf ihn über einen Sessel. Dann bückte er sich, legte vorsichtig die Arme um Robbie und hob ihn hoch.
So leicht. Der wache Robbie schien so viel Raum zu beanspruchen; es war erstaunlich, wie klein und leicht er in Wirklichkeit war.
Von schlaff ganz zu schweigen. Der Junge entglitt fast seinem Griff. James hob seine Last ein klein wenig höher, Robbie an Brust und Schulter ruhen, dann stieg er mit die Treppe hinauf.
Robbies Schlafzimmer war es dunkel und kühl, aber nicht so kalt, dass er Kohlen hätte nachlegen müssen. James balancierte Robbie in einem Arm und schlug mit der anderen Hand die Decke zurück. Dann legte er seinen kleinen schmuddeligen Erben auf die makellosen Laken, ohne sich groß um Dennys Reaktion zu scheren. Geschah dem Kerl ganz recht, wenn er Robbie schon wie einen Hund auf dem Boden schlafen ließ.
Sein Zorn auf Denny und Phillip verwunderte ihn. Schließlich war nichts passiert. James hatte sich nur daran gewöhnt, dass Robbies Leben in geordneten Bahnen verlief, auch wenn Phillip erst seit wenigen Tagen im Haus war.
Er zog Robbie die Decke bis zu den Ohren und stopfte sie ungeschickt unter der Matratze fest. Dann richtete er sich auf, um seinen Erben zu begutachten: ein kleiner Schopf schwarzer Haare auf dem bleichen Leinen des Kissenbezugs. Robbie sah in dem riesigen Bett so winzig aus. James hatte nicht daran gedacht, dem Jungen ein Kinderbett zu besorgen. Er hatte ihm einfach eines der fertig möblierten Schlafzimmer zugewiesen. Seitdem war er nie mehr in dem Raum gewesen, wie ihm plötzlich auffiel.
Das große Himmelbett beherrschte den Raum. Nicht dass viele andere Möbel ihm Paroli
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