Die schöne Betrügerin
volle Mond ergoss seinen schimmernden Glanz auf James’ nackten, auf dem Bett liegenden Körper.
Phillipa schloss kurz die Augen und machte sie schnell wieder auf.
Oh,
merde.
Da lag ein nackter Gott vor ihr, einen Arm und ein Bein in die zusammengeschobenen Laken gewühlt, als umarme er eine Geliebte. Nackter Rücken, nackte Gliedmaßen, und – o ja – ein nackter Hintern. Ein prachtvoller, muskulöser, herrlich unbehaarter Hintern.
Was hätte sie nicht alles getan, um eines dieser Leintücher zu sein.
Du bist hier, um herauszufinden, ob dieses stinkende Monster deinen Vater gefangen hält.
Er stinkt vielleicht doch nicht. Zumindest hat es im Augenblick nicht den Anschein. Er sah absolut hinreißend aus.
E r kollaboriert mit Lord Landesverrat.
Richtig, und es ließ sich nicht bestreiten, dass auch Lord Landesverrat absolut hinreißend aussah. Und wenn James doch anders war? Er lachte, er scherzte, er kümmerte sich um Robbie –,
lügt. Er schmiedet Ränke. Er rät zu »Eliminierungen«.
Sie wollte, dass er ein guter Mensch war. Wäre es nicht wundervoll, wenn er ein guter Mensch wäre?
Dann such das Buch. Beweise die Wahrheit, so oder so.
Also, wo ist das Buch?
Sie riss den Blick von den göttlich geformten Hinterbacken und konzentrierte sich auf das Schlafzimmer. Seine Kleider hingen in einem großen schönen Kleiderschrank, daneben gab es eine Schubladentruhe und einen Wäscheschrank. Sie durchsuchte beides, so gut die zittrigen Hände und die vom Zwielicht schmerzenden Augen es eben zuließen.
Einzig das Bett war vom Mond hell erleuchtet. Man hätte es als Zeichen deuten können, wenn man dazu neigte, an Zeichen zu glauben. Das Zeichen, nicht im Dunkeln durch die Schatten zu schleichen, sondern sich mit ihm auf diesen Laken zu rollen.
Wenn er denn ein guter Mensch wäre.
Sie musste sich schließlich geschlagen geben. Sie hatte jede Tasche durchsucht, die sie in der Dunkelheit ertastet hatte. Sie hatte die Hände sogar zwischen seine Strickunterhosen geschoben und hatte statt der Kälte im Raum die Hitze in ihrem Gesicht gefühlt.
Wo immer das kleine Notizbuch war, es war nicht in diesem Zimmer – es sei denn unter James’ Kopfkissen. Phillipa kaute auf ihrer Unterlippe. Sie wäre eine Närrin, das zu riskieren.
Sie tat einen Schritt auf das Bett zu. Er schlief so tief; zweifelsohne war er spät zu Bett gegangen. Spät ins Bett und früh wieder raus. Der Mann schien wenig Schlaf zu brauchen. Sie tat noch einen Schritt. Die Bodendiele knarrte unter ihrem strumpfsockigen Fuß. James zuckte zusammen. Dann streckte er sich. Und dann drehte er sich um, weg von den Laken.
Oh,
merde!
Phillipa kniff die Augen zusammen, drehte sich um und ergriff die Flucht. An der Schwelle blieb sie stehen. Sie hatte das Buch nicht gefunden. Es war irgendwo hier im Zimmer,
da war sie sich sicher. Aber dieser nackte Mann war es auch, und er würde gefährlich wütend werden, wenn er den Hauslehrer dabei ertappte, wie er in seinem Schlafgemach herumschnüffelte – und zwar sogar, wenn dieser besagte nackte Mann ansonsten keines Verbrechens schuldig war.
Rückzug antreten. Neu formieren. Rückkehr am nächsten Tag.
Wo waren diese Worte hergekommen? Ach ja, Papas Journal. Phillipa spürte plötzlich, wie sie die kalte Gewissheit der Pflichterfüllung überkam. Die unsinnige Anziehung, die James Cunnington auf sie ausübte, bedeutete nichts, solange das Leben ihres Vaters auf dem Spiel stand.
Phillipa verließ das Zimmer, ließ sorgsam den Türknauf einrasten. Sie würde nun also den Rückzug antreten und sich neu formieren. Und dann würde sie zurückkehren und die dunkelsten Geheimnisse dieses Spions auskundschaften.
Am nächsten Tag nahm James ungeduldig ein schnelles Mittagessen ein, weil er sich wieder seiner Mission widmen wollte, nachdem er sich einen öden Vormittag lang um die geschäftlichen Angelegenheiten gekümmert hatte, die seinen Landsitz betrafen. Seine Instruktionen in Sachen Ernte waren per Expresspost nach Lancashire unterwegs, und James war nur zu gern bereit, das Haus zu verlassen.
Er wollte heute in der Gegend, in der Upkirk gelebt hatte, ein paar von den Wirten und Wirtinnen der preiswerten Pensionen aushorchen. Wenn seine Vermutung zutraf, dass Miss Philomena Atwater nicht weit von Upkirk entfernt Quartier bezogen hatte, dann müsste er in der Lage sein, sich spätestens bis zum Abend auf die Spur der rothaarigen Späherin zu heften.
Er konnte es kaum abwarten anzufangen. Atwaters!
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