Die schöne Betrügerin
hart er die letzten Tage gearbeitet hat? Er hat ganze Jahre an Unwissenheit in ein paar Stunden aufgeholt. Und Sie wissen nicht einmal warum, oder?«
»Weil er schnell von Begriff ist. Das weiß ich.«
»Aber er weiß es nicht. Und das wird er auch nicht, solange er es nicht von Ihnen hört, Sie kolossaler Narr! Wir lernen, wer wir sind, indem wir von den Menschen um uns herum Lob oder Tadel ernten. Aber nicht von Ihnen. Sie würden lieber einen Hund loben, bevor Sie Ihrem eigenen Kind ein freundliches Wort sagen!«
Phillips Gesicht war rot angelaufen, und seine grünen Augen blitzten vor Zorn und Verachtung. »Gütiger Himmel, James! Er sehnt sich nach ein bisschen Lob und Aufmerksamkeit, die Sie von Ihrem eigenen Vater ja wohl auch bekommen haben!«
»Habe ich nicht.« Die Worte waren ihm entschlüpft, bevor er es noch selbst bemerkt hatte.
Phillip stockte mitten im Wortschwall. »Was haben Sie da gesagt?«
James machte einen Schritt nach hinten und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich gesagt habe. Irgendeinen Unsinn wahrscheinlich.« Phillip kam näher, lugte James fragend ins Gesicht. »Sie wissen tatsächlich nicht, wovon ich spreche, oder?«
James zwinkerte. »Nun, ich glaube, Sie möchten, dass ich Robbie den Kopf tätschle und ›Guter Junge‹ sage, wann immer er einen seiner Tricks vorführt«, erwiderte er bitter. »Soll ich ihn vielleicht auch noch mit Keksen füttern?«
Phillip starrte ihn nur an, dann schüttelte er den Kopf, als müsse er seine Gedanken ordnen. Er deutete auf die beiden Sessel, die noch von der Lesestunde dastanden. »James, bitte setzen Sie sich.«
James setzte sich und ersparte sich einen abfälligen Kommentar, weil Phillip ihm in seinem eigenen Arbeitszimmer einen Platz anbot. Dennoch durfte er es nur bis zu einer bestimmten Grenze treiben. »Phillip, was Ihr Benehmen angeht -«
»Ich bin noch nicht damit fertig, Ihnen ›mein Benehmen‹ angedeihen zu lassen. Sie dürfen mich später tadeln, aber jetzt hören Sie zu.« Phillip setzte sich in den anderen Sessel und beugte sich konzentriert vor. »Sie sind jetzt Vater, James. Sie müssen begreifen, was Sic damit auf sich genommen haben. Robbie ist kein Hund, dem Sie einen Napf mit Futter hinstellen, ihn ein wenig erziehen und dann ein gutes. Ergebnis bekommen. Wenn Sie Robbie nicht geben, was er braucht – nämlich was ihm sein ganzes Leben lang gefehlt hat –, und wenn Sie es ihm nicht bald geben, dann wird es zu spät für ihn sein. Es stauen sich dann so viel Zorn und Enttäuschung in ihm an, dass ich nicht zu sagen vermag, welch trauriges Ende er nehmen wird.«
James machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch Phillip legte ihm die Hand auf den Arm, was allein schon verblüffend war, denn Phillip hatte ihn nie zuvor angefasst, war sogar immer zurückgewichen. Dennoch wirkte diese Geste ganz natürlich und beiläufig. Sein Erstaunen ließ James vergessen, dass er Phillips Worte hatte bestreiten wollen.
»Bitte, hören Sie mir einfach nur zu«, fuhr Phillip fort. »Es gibt noch Hoffnung für Robbie. Ich kenne mich nur wenig mit Kindern aus, aber ich weiß, was die Liebe und die Anerkennung meines Vaters mir bedeutet haben. Er war lange Zeit die Sonne meines Lebens. Meine Laune ist mit ihm gestiegen oder gesunken. Er war mein Held, James. Genau wie Sie Robbies Held sind.«
Phillip holte Luft. »Ist Ihnen klar, wie wenig er von Ihnen weiß? Und das, was er weiß, hat er von Ihrer Schwester erfahren. Haben Sie sich je mit ihm unterhalten? Sie haben einen Sohn bei sich aufgenommen, verstehen Sie? Nicht nur ein neuen Hausgenossen, nicht nur einen Erben.
Einen
Sohn!«
Phillips Intensität erfüllte den Raum. So gern James die Ansichten seines Hauslehrers auch von der Hand gewiesen hätte, er hatte selbst mit angesehen, was Phillip bei Robbie bewirkt hatte. Phillip hatte da wohl wirklich etwas erkannt. Und James wollte verstehen, wirklich, das wollte er. Doch gerade in dem Moment, als ihm das neue Konzept der Vaterschaft langsam zu dämmern begann, klopfte es brüsk an die offenen Tür, und Denny kam wichtigtuerisch hereinstolziert.
»Mr. Tremayne ist vorgefahren, um Sie in den Club zu begleiten, Sir.«
19. Kapitel
Phillipa wartete mit angehaltenem Atem, dass James auf ihre Worte antwortete. Aber die Unterbrechung hatte sie das Spiel gekostet. Er nickte nur Denny zu und stand auf.
»Danke, Denny. Sagen Sie ihm, dass ich gleich nach draußen komme.« Er verließ das Arbeitszimmer, ohne Phillipa
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