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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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mitbekommen, dass man Schlaflosigkeit riskierte, also etwas, das einen ganz schön zur Verzweiflung bringen konnte, wenn man nach elf Uhr abends ins Bett ging. Diese von Generation zu Generation vererbte Angst vor dem späten Schlaf steigerte sich bei den weiblichen Aubles zur Besessenheit, da diese ja mehr Muße hatten als die männlichen und mithin stärker zu besorgter Selbstbeobachtung neigten und vor allem ständig um den Zustand ihres Nervenkostüms besorgt waren, stets bedacht, Überanstrengung zu vermeiden und häufig Ferien zu machen, um sich, wie sie sagten, zu erholen, und vor allem nicht zu spät zu Bett zu gehen. Daher wurde abends nach dem Essen die gepflegte Konversation im Salon häufig von einer dieser Damen unterbrochen, die plötzlich ihre Stickarbeit fallen ließ und entsetzt rief: »Wie schrecklich, schon zwanzig vor elf, wir haben gerade noch Zeit für unsere Abendtoilette!« Es versteht sich von selbst, dass diese Damen sich am nächsten Morgen beim Frühstück als erstes gegenseitig und mit lebhaftem und wohlwollendem Interesse nach der Qualität ihres Schlafes erkundigten, überaus fachmännisch und nuanciert auch die subtilsten Details erörternd, etwa: »Ja, ich habe gut geschlafen, aber vielleicht nicht sehr gut, jedenfalls nicht so fest wie vorgestern.« Während ihrer Kindheit und Jugend hatte Ariane d’Auble die von ihrer Tante so oft gepredigte heilige Elf-Uhr-Regel stets gewissenhaft befolgt. Diesen kindlichen Respekt hatte sie nicht verloren. Allerdings hatte sie es seit ihrer Volljährigkeit und vielleicht unter dem Einfluss ihrer russischen Freundin als tolerantes Mädchen nicht allzu schlimm gefunden, das Schlafengehen um eine halbe Stunde hinauszuzögern. Nach halb zwölf hatte sie jedoch panische Angst vor der wahrscheinlichen Schlaflosigkeit.)
    Erleichtert, die kritische Grenze nicht überschritten zu haben, schlüpfte sie um elf Uhr neunundzwanzig ins Bett und löschte sofort das Licht. Sie lächelte in der Dunkelheit. Kein Klingeln an der Tür, seit sie heraufgekommen war. Der Flegel war also nicht gekommen. Er hatte sie drangekriegt, die Deumes.
    »Geschieht ihnen recht«, murmelte sie und kuschelte sich in ihre Decken.
    Sie war gerade bereit, sich dem Schlaf hinzugeben, als es zweimal leise an der Tür klopfte. Das war er, bestimmt. Was wollte er noch von ihr? Sie beschloss, ihm nicht zu antworten. So würde er denken, sie schliefe schon, und nicht weiter drängen. Und wirklich hörte sie, wie er kurz darauf in sein Zimmer zurückging und die Tür schloss. Gerettet. Wieder unter die Decke gekuschelt, schloss sie die Augen. Mist, da kam er schon wieder. Zwei stärkere Schläge. Mein Gott, konnte er sie denn nicht in Ruhe lassen? Lieber gleich antworten und die Sache hinter sich bringen.
    »Was ist los?«, fragte sie stöhnend, als hätte er sie aus dem Schlaf gerissen.
    »Ich bin’s, Liebling. Darf ich eintreten?«
    »Ja.«
    »Bist du mir auch nicht böse, dass ich dich störe?«, fragte er, als er eintrat.
    »Nein«, sagte sie mit einem schmerzlichen Lächeln.
    »Ich will dich gar nicht lange aufhalten, weißt du. Ich möchte nur gern wissen, was du davon hältst, ich meine, dass er nicht gekommen ist.«
    »Ich weiß nicht. Er war sicher verhindert.«
    »Ja, aber verstehst du, es ist doch seltsam, dass er nicht einmal angerufen hat, um Bescheid zu sagen, ich meine, um sich mehr oder weniger zu entschuldigen. Was meinst du? Was soll ich morgen tun? Zu ihm gehen?«
    »Ja, geh zu ihm.«
    »Aber das könnte ihn verärgern, verstehst du, das sieht nach Vorwurf aus, als ob ich ihn auffordern würde, sich zu rechtfertigen.«
    »Dann geh nicht zu ihm.«
    »Ja, aber andererseits kann ich das nicht einfach so auf sich beruhen lassen. Wie sehe ich denn aus, wenn ich ihm begegne und er nichts sagt? Verstehst du, es ist eine Frage der Würde. Was meinst du?«
    »Dann geh zu ihm.«
    »Du bist mir böse, dass ich gekommen bin?«, fragte er nach einer Pause.
    »Nein, aber ich bin ein bisschen müde.«
    »Tut mir leid, ich hätte nicht kommen sollen. Entschuldige, ich gehe schon. Dann also gute Nacht, Liebling.«
    »Gute Nacht«, sagte sie lächelnd. »Schlaf gut«, fügte sie hinzu, um ihm zu danken, dass er ging.
    An der Tür drehte er sich noch einmal um und kam zu ihr zurück.
    »Hör mal, darf ich noch zwei Minuten bleiben?«
    »Ja, natürlich.«
    Er setzte sich auf den Bettrand und nahm ihre Hand. Sie setzte ein starres Mustergattinnenlächeln auf, während er sie mit Hundeaugen

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