Die Schöne des Herrn (German Edition)
Herzen.
***
Adrien Deume stand im Salon, löste seine Fliege, stürzte einen Whisky hinunter, aß das letzte Petit Four und blickte ein weiteres Mal auf die Uhr. Elf Uhr zehn. Vielleicht sollte er noch ein, zwei Minuten bleiben. Oh, er wusste sehr gut, dass der Kerl nicht kommen würde, aber er könnte ja vielleicht anrufen. Das würde immerhin von einer gewissen Rücksicht der Familie gegenüber zeugen, wenn er anriefe, um sich zu entschuldigen, um wenigstens eine Erklärung abzugeben, Herrgott noch mal.
»Er hat mich ganz schön sitzenlassen, das ist wirklich ein starkes Stück. Es sei denn, er ist tot.«
Natürlich wäre der Tod ein triftiger Grund. In diesem Fall müsste er zu seiner Beerdigung gehen, das war er ihm schuldig. Bei den Beerdigungen der hohen Tiere gab es immer wieder die Gelegenheit, interessante Bekanntschaften zu machen. Aber er war nicht tot, das spürte er, er war nicht der Typ, der plötzlich abkratzte, er sah noch jung aus. Rätselhaft war nur, dass er Mammi gesagt hatte, er würde bestimmt kommen. Also was, zum Donnerwetter, sollte das? Man hatte nicht das Recht, ihm so mitzuspielen! Zuerst ist er nicht zum Essen gekommen, all dieser Kaviar, verdammt noch mal, und dann hat er ausdrücklich versprochen, um zehn Uhr hier zu sein, und dann nichts! Nein, nein, das gehörte sich einfach nicht!
»Sollte er vielleicht die Adresse verloren haben?«
Nein, das ergab keinen Sinn. Wenn man eine Adresse vergisst, sieht man im Telefonbuch nach. Also keine Entschuldigung, es sei denn, er war abgekratzt. Übrigens hatte er das sichere Gefühl, dass er nicht anrufen würde. Himmelherrgott, so etwas konnte man nicht machen, selbst wenn man der Papst war. Schließlich war er ein A. Ah, das Gewitter ist vorbei. Ja, ein A.
Um Viertel nach elf und nach einem zweiten Whisky verließ er den Salon und ging langsam die Treppe hinauf, wobei er jede Stufe mit einem anrüchigen Wort markierte, während Mammis wütendes Schnarchen durch das Haus dröhnte. Sollte er die Sache mit Ariane besprechen? Das wäre immerhin ein Trost, und er könnte mit ihr beschließen, was zu tun wäre, falls der U.G.S. ihn morgen früh nicht zu sich riefe, um ihm eine Erklärung zu geben und ihn vor allem zu beauftragen, ihn bei Mammi und Ariane zu entschuldigen, die ja schließlich Damen waren. Mit einer Entschuldigung könnte er das Gesicht wahren. Ja, falls er bis morgen Mittag nicht zum U.G.S. gerufen worden wäre, würde er verlangen, ihn zu sehen, das wäre leicht, er stand sich gut mit der Wilson, er hatte ihr von seiner Reise nach Valescure Mandelplätzchen mitgebracht. Bei Ariane klopfen? Sie schlief bestimmt schon, außerdem liebte sie es nicht, geweckt zu werden. Nein, lieber nicht. Vor allem, da dieser Tage ohnehin nur schwer mit ihr auszukommen war.
»Toll wäre es, wenn er einen Herzanfall gehabt hätte, mit Atemnot und so weiter, das würde die Sache ungeschehen machen, selbst wenn es eine faule Ausrede wäre, egal, solange es nur der Familie gegenüber ein triftiger Entschuldigungsgrund ist, und mir gegenüber ebenfalls, in meinem Verhältnis zu ihm, damit er mich nicht verachtet. Herrgott noch mal, soll er doch eine Ausrede erfinden, mehr verlange ich ja nicht. Morgen muss ich ihn gleich fragen, ob ein plötzliches Unwohlsein ihn am Kommen gehindert hat, das wird ihm als Anregung dienen, und dann ist meine Ehre gerettet. Ja, aber wenn ich ihn nach diesem Affront sprechen will, sieht es vielleicht so aus, als wollte ich ihm Vorwürfe machen. Oh, verflixt.«
In seinem Zimmer warf er den neuen Smoking angeekelt auf einen Stuhl. Nachdem er in seinen alten Pyjama geschlüpft war, blieb er mit starrem Blick vor seinem Bett stehen und betrachtete das Ausmaß seines Unglücks. Ach was, es war sein gutes Recht, sie aufzuwecken, schließlich war es eine außergewöhnliche Situation. Er zog sich einen guten Pyjama an, schlüpfte in seine neuen Hausschuhe und kämmte sich noch einmal den Bart. Elf Uhr sechsundzwanzig. Ja, er sollte zu ihr gehen.
»Schließlich bin ich ihr Mann.«
XXI
Als sie aus dem Bad kam, trocknete sie sich in aller Eile ab, denn sie musste unbedingt vor halb zwölf im Bett sein, sonst gab es eine Katastrophe. (Diese Tochter aus reichem Hause war das letzte Glied einer langen Kette verzärtelter Menschen, welche die Gewohnheit hatten, sich zu beobachten und der Müdigkeit, der regenerierenden Ruhe und dem erholsamen Schlaf große Bedeutung beizumessen. Vom Stamm der Aubles hatte sie den Grundsatz
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