Die Schöne des Herrn (German Edition)
Mit welchem Recht setzte sich dieser Mann auf ihr Bett,
ihr
Bett, das Bett ihrer Jugend? In ihrer Wut griff sie nach einem Bleistift und brach ihn entzwei. Dann trat sie mit flammender Empörung dem Unterdrücker entgegen, und wild entschlossen, das Opfer zu verteidigen, das sie war, wappnete sie sich für den Kampf, indem sie ihre kurze Jacke zuknöpfte und zu protestieren begann, was ihr durchaus überzeugend gelang.
»Es ist eine Schande, es ist eine erbärmliche Niedertracht!«, schrie sie, um sich in Erwartung einer Inspiration und eines geeigneten Themas so richtig in Fahrt zu bringen. »Ich bin also böse! Weil ich mich eine halbe Stunde lang als geduldig und sanftmütig erwiesen habe? Weil ich den Bruch deines Versprechens hingenommen habe, auf die Gefahr hin, meinen Schlaf zu opfern? Ja, den Bruch deines Versprechens! Hast du mir etwa nicht versprochen, du würdest nur zwei Minuten bleiben? Du hast mich getäuscht, du hast mich in eine Falle gelockt! Eine halbe Stunde bist du geblieben, und ich habe gegen diese Verletzung von Treu und Glauben nicht ein einziges Mal protestiert! (Er blickte sie ohnmächtig an. Verletzung von Treu und Glauben! Was für Ausdrücke sie hatte! Er hatte überhaupt nichts versprochen, das wusste sie ganz genau. Aber wozu sich verteidigen? Sie würde ihm sowieso nicht zuhören.) Nein«, fuhr sie fort, »ich habe nicht protestiert, im Gegenteil, ich habe sanft gelächelt, und das nennst du böse? Gelächelt habe ich, jawohl, eine halbe Stunde lang habe ich gelächelt, in der Hoffnung, du würdest dir endlich der Qualen bewusst, die du mir zugefügt hast, in der Hoffnung, du würdest endlich ein wenig Güte, ein wenig Mitleid, ein wenig Liebe zeigen!«
»Aber du weißt doch, dass ich dich liebe«, murmelte er mit gesenktem Blick.
»Aber warum sollte man auch mit einer Sklavin Mitleid haben?«, fuhr sie fort, ohne sich um das zu kümmern, was ihr nicht ins Konzept passte.
»Sprich leiser«, flehte er. »Sie werden es hören.«
»Sollen sie es doch hören! Sollen sie nur wissen, wie du mich behandelst! Ja, warum sollte man mit einer Sklavin Mitleid haben?«, wiederholte sie, bebend vor kämpferischer Glut, denn jetzt hatte sie das ergiebige Thema gefunden. »Eine Sklavin muss alles hinnehmen! Wenn es dem Herrn gefällt, sie um ein Uhr morgens aufzuwecken, muss sie es hinnehmen! Wenn es dem Tyrannen einfällt, die ganze Nacht mit ihr zu reden, muss sie es hinnehmen! Und wehe ihr, wenn sie ihre Müdigkeit und ihr Schlafbedürfnis nicht vor ihm verbirgt! Wehe ihr, wenn sie ihm nicht nachgibt, wenn sie sich untersteht, schlafen zu wollen! Dann wird sie selbstsüchtig und böse genannt! Wehe ihr, wenn sie die Kühnheit besitzt, als menschliches Wesen behandelt werden zu wollen und nicht wie eine Hündin, die man zu jeder Stunde der Nacht wecken kann! Und warum habe ich das Verbrechen begangen, schlafen zu wollen? Um dir morgen zu dienen, vom frühen Morgen an! Denn eine Sklavin muss ja immer bereit und verfügbar sein! Diese Auffassung der Ehe ist eine Schande! Die Frau der Besitz des Mannes! Man lässt ihr nicht einmal das Recht, ihren eigenen Namen zu behalten! Mit glühenden Eisen brennt man ihr das Besitzerzeichen des Mannes auf die Stirn! Wie einem Tier! Der Egoist bist du, der du dir das Recht anmaßt, mich zu jeder Nachtstunde zu brauchen, der Böse bist du, der du jetzt schon von mir verlangst, im Falle einer Krankheit, irgendeiner Krankheit, selbst einer leichten Krankheit, die ganze Nacht bei dir zu wachen! Gut, ich nehme es hin, die Dienerin, die Putzfrau zu sein! Aber selbst eine Putzfrau hat das Recht auf Schlaf!«
Unerschrocken fuhr sie in ihrer Rede fort und berührte diverse Aspekte ihres Märtyrerdaseins. Nachdem sie ihn an die bereits erwähnten Verbrechen gegen die Weiblichkeit erinnert hatte, zählte sie dem armen verdutzten Mann mit genauer Nennung von Ort und Datum weitere Schandtaten auf, die er, wie er plötzlich erfuhr, im Laufe ihrer Ehe begangen hatte. Unermüdlich, überhaupt nicht müde oder erschöpft, überaus lebhaft ging sie in ihrer weißen rotgetupften Pyjamajacke mit nackten Schenkeln auf und ab und redete in einem heiligen Rausch und vielleicht mit gewisser Siegesfreude, während ihr Mann schwach und verwirrt von dem rachsüchtigen Redeschwall bass erstaunt der schwindelerregenden, aber wohlgeordneten Aufzählung seiner ungeahnten Sünden beiwohnte.
Es war eine schöne Anklagerede. Und wie alle Redner von Format war sie ehrlich und glaubte an
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