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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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und war in die Küche hinuntergerannt, hatte sich eingeschlossen und war bis um vier Uhr morgens dort drin geblieben war, während er vor Angst gezittert hatte, sie könnte den Gashahn aufdrehen und sich das Leben nehmen.
    Und das war beileibe nicht alles, sie hatte noch andere Waffen, die der Arme gut kannte, die Vergeltungsmaßnahmen an den Tagen nach einer Szene: Migränen, sich den ganzen Tag im Zimmer einschließen, geschwollene Augenlider, stumme Zeugen einsamer Tränen, verschiedene Arten von Unwohlsein, hartnäckiges Schweigen, aggressive Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Vergesslichkeit, trüber Blick, kurzum, das ganze schreckliche Arsenal einer schwachen unbesiegbaren Frau.

XXII

    Am besten wäre ein Selbstmord. Ein Revolverschuss, aber nicht irgendwohin, nicht in den Spiegelschrank oder an die Decke, man müsste auf eine Stelle zielen, wo nicht zu viel Schaden entstünde, zum Beispiel auf das Bett. Die Kugel würde in die Matratze eindringen, ohne allzu viel Schaden anzurichten. Sie würde den Knall hören und herbeieilen, und er würde ihr erklären, die Hand habe ihm gezittert und der Schuss sei abgewichen. Dann würde sie endlich verstehen, was für ein Leben sie ihm bereitete und wie sehr er unter ihr zu leiden hatte.
    »Nein, so geht das nicht.«
    Nein, so ginge das nicht. Trotz der Wachskugeln könnten Papi und Mammi den Knall vernehmen. Und selbst wenn sie ihn nicht vernahmen, wie sollte er das Loch in der Bettdecke, in den Laken und in der Matratze erklären? Besonders, da Mammi ein so scharfes Auge hatte. Einen durch das Leiden hervorgerufenen Herzanfall mit Atemnot? Nein, darin kannte er sich nicht aus, das war zu schwierig. Und ein Herzanfall war nicht laut genug, das würde sie nicht aufschrecken. Mehrere Tage lang kein Wort zu ihr sagen und sogar versuchen, nicht zu essen? Das ginge auch nicht. Mammi würde sofort wissen, dass etwas nicht stimmte, und ihn ausfragen, und das gäbe ein schönes Theater. Nein, die einzige, die wahre Lösung bestand darin, alles daran zu setzen, sie nicht mehr zu lieben. Das war es, akzeptieren, ohne Liebe zu leben, sich sagen, sie sei eine Fremde, mit der er leben musste, aber nichts mehr von ihr erwarten, sie auf der Stelle enterben und alles Papi und Mammi hinterlassen.
    Er hatte sich eben hingesetzt, um sein Testament zu schreiben, als es leise an die Tür klopfte. Er warf einen Blick in den Spiegel, nahm die Brille ab und öffnete. Da stand sie, die edle Schuldige im weißseidenen Morgenrock, kam ihm wie eine sanfte Priesterin entgegen und sagte, es täte ihr leid, die Nerven verloren zu haben, unbeherrscht gewesen und in Panik geraten zu sein.
    »Ich war im Unrecht«, sagte er. »Ich hätte nicht so spät kommen sollen. Verzeih mir, Liebling.«
    In ihrem Zimmer, vor ihrem Bett, fand er sie so rührend in ihrer Reue, dass er sie an sich drückte. Er spürte die Festigkeit ihrer Brüste und flüsterte ihr Zärtlichkeiten ins Ohr. Als sie im Bett lag, schloss sie die Augen, um nicht zu sehen, wie er seinen Pyjama auszog. Er hob die Decke, legte sich neben sie und nieste zweimal. Da haben wir’s, sagte sie sich, da ist er wieder, der Hund. Du blöde Kuh, warum hast du nur Mitleid gehabt, warum hast du ihn um Verzeihung gebeten. Jetzt musst du bezahlen.
    In solchen Augenblicken wechselte Adrien Deume ohne Übergang von keuscher Enthaltsamkeit zu stierhaftem und drängendem Verlangen. Aber er hatte vor einigen Wochen das Kamasutra gelesen und daraus die Nützlichkeit gewisser Vorspiele gelernt. Daher begann er ohne weitere Umstände an seiner Frau zu knabbern. Jetzt spielt er den Pekinesen, dachte sie und konnte sich nicht enthalten, innerlich zu bellen. Sie warf sich ihren unterdrückten Lachkrampf vor, während der Beamte der Sektion A fleißig an ihr nagte, und sie schämte sich, fuhr aber dennoch innerlich mit ihrem heimlichen leisen Gebell fort, wau wau wau. Nach ein paar weiteren von dem indischen Buch empfohlenen Gefälligkeiten, die er mit großem Eifer ausführte, geschah, was geschehen musste.

***

    Er lag neben ihr, hatte sich beruhigt, flüsterte bald zärtliche, bald erhabene Kommentare, und sie musste sich zurückhalten, um ihm keine Fußtritte zu versetzen. Nein, nein, das ging zu weit, es ging zu weit, dass er jetzt, nachdem er sie benutzt hatte, den Idealisten und den Gefühlsmenschen spielte, es ging zu weit, dass er sie mit poetischen Worten und hochtrabenden Sentimentalitäten abspeiste, nachdem er sich so bestialisch an ihr vergangen hatte.

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