Die Schöne des Herrn (German Edition)
Didi leer ausgehen zu lassen! Und sie hat noch die Stirn gehabt, mir zu sagen, sie fände das gerecht! Nun ja, ich muss sie lieben, und ich werde für sie beten!«
XXVIII
Miss Wilson reagierte reflexartig auf den Klingelknopf, trat entschlossen ein und blieb zwei Meter vor dem Louis-seize-Schreibtisch stehen. Um die fünfzig, korrekt gekleidet, ohne Rundungen, überzeugt von der Legitimität ihrer Existenz, einen ehrfurchtgebietenden Duft von Lavendel mit einem Hauch von Pearsseife verbreitend, wartete sie schweigend, aufrecht und kompetent, mit grünem und offenem Blick, ohne Furcht und Tadel, loyal und einfältig.
Die Augen niedergeschlagen, um diesen Blick, der ihn schmerzte, diesen Blick der vernünftig Glücklichen, nicht zu sehen, bat er sie, die Abteilungsleiter zusammenzurufen. Sie antwortete mit einer nüchternen bejahenden Geste, ergeben, aber selbstbewusst, machte kehrt und entfernte sich auf ihren flachen Absätzen, nach wie vor ohne jede Daseinsberechtigung, aber gepanzert mit Gewissheiten, im sicheren Bewusstsein ihres Gottes, ihres Königs, ihrer unerschütterlichen Rechtschaffenheit, ihres gesicherten Jenseits, ihres bereits erworbenen Cottages in Surrey, wo sie nach der Pensionierung den Rest ihrer Tage verbringen würde, mit einer Gartenschere ihre Rosenstöcke beschneidend zwischen zwei Tassen starken ungezuckerten Tees, von der Achtung aller umgeben, Freundin der Frau des Pastors, untadelig und glücklich in diesem Cottage, das sie nur verlassen würde, um geradewegs zum Himmel aufzufahren, als Jungfrau und mit ihren großen Füßen voran. Eine Glückliche, die dazugehörte und die glaubte. Er hingegen gehörte nirgendwohin, ein einsamer Mensch, der an nichts glaubte. Also Selbstmord. Doch zuerst die Farce der täglichen Berichterstattung.
***
Die sechs Abteilungsleiter warteten im Konferenzsaal, um den langen Tisch sitzend und Notizblöcke vor sich, rauchend, sich höflich mit ihren Luxusfeuerzeugen Feuer anbietend, herzlich Scherze austauschend und einander hassend. Jonkheer van Vries beteiligte sich kaum an dem allgemeinen Gespräch, da er seine bürgerlichen Kollegen insgeheim verachtete, die, im Gegensatz zu ihm, wie er meinte, gesellschaftlich nichts galten. (Unter anderem war er stolz auf seine Kenntnisse in mondänen Dingen, dass man beispielsweise gewisse große Namen wie Broglie oder Cholmondeley auf unerwartete und bezaubernde Weise aussprach. Außerdem hatte er, wenn er »mein Dinnerjacket« und nicht »mein Smoking« sagte, ein köstliches Gefühl von Überlegenheit. Diese Erbärmlichkeiten und die Tatsache, dass er eine unablässig sterbende, aber gesellschaftlich äußerst gewandte und als großzügige Gastgeberin bekannte dichtende Gräfin frequentierte und von einer idiotischen Königin im Exil empfangen wurde, waren der Lebensinhalt dieses armen Kerls, der Glupschaugen hatte und stets stark nach Cuir de Russie duftete.)
Die Abteilungsleiter erhoben sich, als Solal eintrat. Er warf einen Blick auf sie, er kannte sie. Außer Benedetti, der im Hintergrund gegen ihn intrigierte, waren sie treu, das heißt, sie begnügten sich damit, vorsichtig und manchmal auch mit einer Spur von Zustimmung zu lächeln, wenn sie hörten, dass man schlecht von ihm sprach.
Er bat sie, Platz zu nehmen, und sagte, nur eine Frage stehe auf der Tagesordnung, eine Frage, die auf Ersuchen des Generalsekretärs aufgenommen worden sei und die Sir John selbst als »Maßnahmen zugunsten der Ziele und Ideale des Völkerbundes« formuliert habe.
Keiner der Abteilungsleiter hatte die geringste Ahnung, worin diese Maßnahmen bestehen sollten, Sir John übrigens auch nicht, der von seinen Untergebenen erwartete, dass sie ihm mitteilten, was er wollte. Dennoch sprachen alle lange und ausführlich, einer nach dem anderen, denn es war oberstes Gesetz, niemals das Gesicht zu verlieren, stets kompetent zu wirken und auf keinen Fall zuzugeben, dass man etwas nicht verstand oder nicht wusste.
Und so faselte man kühn und munter drauflos, ohne recht zu wissen, worum es eigentlich ging. Während seine Kollegen, verärgert über die Länge eines jeden Exposés, das nicht das eigene war, kleine geometrische Zeichnungen auf ihre Notizblöcke kritzelten und sie dann melancholisch weiter ausführten, erklärte van Vries zehn Minuten lang, dass es unumgänglich sei, einen nicht nur systematischen, sondern auch konkreten Aktionsplan vorzubereiten. Daraufhin meldete sich Benedetti zu Wort, um zwei Punkte zu entwickeln, die
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