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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Zahnarzt, vor der trunkenen Abreise zum Meer.
    Besitze ich diese Länge, dieses Gewicht und diese Knöchelchen, so wird sie ein Engel sein, eine barmherzige Schwester der Liebe, eine Heilige. Aber besitze ich sie nicht, dann wehe mir! Und wäre ich auch ein Genie an Güte und Intelligenz und liebte sie über alles, hätte ich ihr nur hundertfünfzig Zentimeter Fleisch zu bieten, so würde ihre unsterbliche Seele nicht mitmachen, nie würde sie mich mit ihrer ganzen unsterblichen Seele lieben, nie wäre sie für mich ein Engel, eine Heldin, zu jedem Opfer bereit.
    Schauen Sie sich die Heiratsannoncen an, die Bedeutung, die diese jungen Idealistinnen den Zentimetern des Herrn beimessen, den sie suchen. ›Aufgepasst!‹, schreien diese Annoncen, ›wir brauchen mindestens hundertsiebzig Zentimeter Fleisch, und sonnengebräuntes dazu!‹ Und wenn der Unglückliche nur eine kleine Länge zu bieten hat, spucken sie darauf. Wenn ich also, mal angenommen, nur diese unglückseligen hundertfünfzig Zentimeter groß wäre und trotzdem versuchte, ihr meine tiefste und aufrichtigste Liebe zu gestehen, so wird sie eine herzlose hochnäsige Gans sein und meine Kürze nur mit einem angewiderten Blick mustern!
    Ja, Madame, fünfunddreißig Zentimeter weniger Fleisch, und meine Seele ist ihr egal, und nie und nimmer wird sie sich vor meine Brust werfen, um mich vor den Kugeln eines Gangsters zu schützen. Dito, wenn ich das erwähnte Genie wäre, aber nicht genügend Knöchelchen in meinem Mund hätte! Diese so auf Geistigkeit erpichten Damen bestehen auf den Knöchelchen! Sie sind zwar ganz vernarrt in unsichtbare Realitäten, aber die Knöchelchen sollen sichtbar sein!«, rief er fröhlich, doch mit Traurigkeit im Blick.
    »Und sie brauchen viele davon! Auf jeden Fall müssen die vorderen Schneideknöchelchen vollzählig sein! Sollten auch nur zwei oder drei fehlen, so können diese Engelsgeschöpfe meine seelischen Qualitäten nicht mehr schätzen, und ihre Seele macht nicht mehr mit! Zwei oder drei millimeterlange Knöchelchen weniger, und ich bin erledigt und muss ganz allein und ohne Liebe leben! Und falls ich es wage, ihr mit Liebe zu kommen, wird sie mir ein Glas ins Gesicht schleudern, in der Hoffnung, mir ein Auge auszuschlagen! ›Wie‹, würde sie zu mir sagen, ›du hast keine Knöchelchen im Mund und hast die Kühnheit, mich zu lieben! Verschwinde, Elender, und nimm noch diesen Fußtritt in den Hintern mit!‹ Man braucht also gar nicht gut oder intelligent zu sein – ein Ersatz genügt –, wenn man nur die nötige Anzahl von Kilos hat und mit Beißerchen und Schneiderchen versehen ist!
    Und nun frage ich Sie, welche Bedeutung soll man einem Gefühl beimessen, das von einem halben Dutzend Knöchelchen abhängt, deren längste kaum größer als zwei Zentimeter sind? Wie? Ich lästere? Hätte Julia Romeo geliebt, wenn Romeo vier Schneidezähne gefehlt hätten und sein Mund ein großes schwarzes Loch gewesen wäre? Nein! Und doch hätte er genau die gleiche Seele, die gleichen seelischen Qualitäten besessen! Also warum flöten sie mir ständig vor, nur die Seele und die seelischen Qualitäten zählten?
    Wie naiv von mir, dermaßen darauf zu beharren! Das alles ist ihnen ja wohlbekannt. Alles, was sie wollen, ist, dass man nicht klar und deutlich darüber spricht, dass man Falschmünzerei betreibt und überaus gewählte Worte in den Mund nimmt, meine persönlichen Feinde, und dass man statt hundertachtzig Zentimeter und Knöchelchen stattliche Erscheinung und verführerisches Lächeln sagt! Man schweige also und verachte mich nicht weiter und tuschele nicht länger, ich sei ein schändlicher Materialist! Der Schändlichste hier ist nicht der, den man dafür hält!
    Und nichts entgeht ihnen, diesen reizenden Wesen! Bei der ersten Begegnung erzählen sie einem von den Blümlein des heiligen Franz von Assisi, und dabei nehmen sie dich mit den Augen auseinander und fällen ihr Urteil. Ohne dass du es gemerkt hast, haben sie alles entdeckt, einschließlich der Anzahl und Qualität der Knöchelchen im Mund, und falls dir ein oder zwei fehlen, bist du verloren! Verloren, mein Freund! Bist du dagegen appetitlich, so wissen sie auf den ersten Blick, dass du braune, aber auch ein wenig grüne Augen hast, mit ein paar goldenen Flecken, wovon du keine Ahnung hattest. Beobachterinnen ersten Ranges.
    Und das ist nicht alles, sie begnügen sich nicht mit einer Inspektion deines Gesichts! Sie gehen aufs Ganze! Bei dieser ersten

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