Die Schöne des Herrn (German Edition)
primitiv, lächerlich im Grunde. Aber sie sind unerlässlich, damit die Frauen ihn lieben. So sind sie nun mal. Sie bestehen darauf. Und er braucht ihre Liebe. Erstens als Ablenkung, um den Tod zu vergessen und dass es kein Leben danach gibt, keinen Gott, keine Hoffnung, keinen Sinn, nur das Schweigen eines unbeseelten Alls. Kurzum, aus Liebe zu einer Frau sich das Leben kompliziert machen, um die Angst zu übertönen. Zweitens die Suche nach Trost. Ihre Anbetung tröstet ihn über sein Alleinsein hinweg. Das ist seine Größe, deren Dienerin und Ehrendame Einsamkeit heißt. Drittens helfen sie ihm auch zu ertragen, dass er nicht König ist, denn er ist geschaffen, König zu sein, von Geburt und ohne besondere Mühen. König zu sein ist ihm verwehrt, und politischer Führer will er nicht sein. Denn um von der Menge gewählt zu werden, müsste er von ihrer Art sein, ein Gemeiner. So herrscht er also über die Frauen, sein Volk, und er wählt nur Edle und Reine, denn welches Vergnügen brächte ihm die Unterwerfung einer Unreinen? Übrigens sind die Edlen und Reinen auch bessere Dienerinnen im Bett. Unsympathisch, denkt sie jetzt, und das ist ein gutes Zeichen.
Aber der wichtigste Grund für seine Verführungswut ist die Hoffnung auf eine Niederlage, dass eine Frau ihm endlich widersteht. Doch leider niemals eine Niederlage. Während er nach Gott dürstet, bestätigt ihm jeder seiner traurigen Siege die geringe Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes. All diese Edlen und Reinen, die eine nach der anderen so schnell bereit sind, in die horizontale Lage zu sinken, gestern noch Madonnengesichter und heute wild züngelnd zungenküssend, sind ihm immer neuer Beweis, dass es keine absolute Tugend gibt und dass folglich und ein weiteres Mal dieser Gott, auf den er hofft, nicht sein will. Was kann ich dafür? Aber jetzt, lieber Adrien, muss ich auflegen, denn ich muss diejenige, die zuhört und mich hasst, verführen. Aber sie wird mein sein, das verspreche ich dir, und sie wird sich noch wundern, denn das Schicksal hat mich als Solal XIV. von den Solal das Licht der Welt erblicken lassen, ohne Vornamen, wie alle Erstgeborenen der älteren Linie der Solal, wundern wird sie sich, denn wie will sie mich nennen in der Glut unserer Vereinigung? Ja, kleiner Deume, mit der rachsüchtigen Freude des Schmerzes werde ich sie verführen, und in großer Liebe werden wir zu einer glücklichen Insel aufbrechen, sie und ich, noch in dieser Nacht, während du friedlich in deinem Schlafwagen schlummerst. Also leb wohl, und verzeih mir.«
Er legte auf und verharrte reglos. Wenn es in Genf keinen Tätowierer gibt, dann in Marseille. In jeder Bar des alten Hafens könnte man ihm einen nennen. Die Garantie eines plötzlichen Todes war das, worauf es im Leben ankam. Er wandte sich ihr zu.
»Mit einem Wort, ein Glückspilz Ihr Mann. Mit vielem verbunden. Ein richtiges Vaterland, Freunde, Gleichgesinnte, Glaubensbrüder, ein Gott. Ich dagegen immer allein, immer ein Fremder, und auf einem Hochseil. Müde bisweilen, immer alles von mir selbst erwarten zu müssen, mich nur auf meinen Verbündeten verlassen zu können, meine Intellijüdischkeit. Dieses wahnsinnige Verlangen, ein einfacher Mann zu sein, aber eben einer, der dazugehört, der Teil eines Ganzen ist, der von der Wiege bis zum Grabe von Zugehörigkeiten und Institutionen getragen wird, dieses wahnsinnige Verlangen, Dorfbriefträger zu sein oder Straßenfeger oder Gendarm, den alle kennen und grüßen und gern haben und der abends mit seinen Freunden Karten spielt. Aber ich bin immer allein, begleitet nur von der Liebe der Frauen und meiner Scham wegen ihrer Liebe.
Scham, weil ich ihre Liebe meiner Schönheit schulde, meiner widerlichen Schönheit, welche die Augenlider der Schätzchen zittern lässt, meiner verachtenswerten Schönheit, mit der sie mir seit meinem sechzehnten Geburtstag den letzten Nerv rauben. Sie werden sich wundern, wenn ich alt sein werde, mit tropfender Nase, oder, besser noch, unter der Erde liegen werde, in Gesellschaft ihrer Wurzeln und ihrer stumm sich windenden Würmer, ganz grün und verdorrt in meiner morschen Kiste. Dann werden sie mich weniger appetitlich finden, und das geschieht ihnen recht; ich freue mich schon jetzt darauf. Meine Schönheit, das heißt Fleisch von einer gewissen Länge, Fleisch von einem gewissen Gewicht und weiße Knöchelchen im Mund, vollzählig, zweiunddreißig, Sie können es nachher mit einem kleinen Spiegel überprüfen, wie beim
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