Die Schöne des Herrn (German Edition)
Leichname auf den Straßen, auf den Bürgersteigen, so in Eile, so geschäftig, die nicht wissen, dass die Erde, in der man sie einst begraben wird, existiert und schon auf sie wartet. Künftige Leichname, scherzen sie oder entrüsten oder rühmen sich. All diese zum Tode verurteilten lachenden Frauen, die ihre Brüste herzeigen, so viel sie nur können, sie vor sich hertragen, närrisch stolz auf ihre Milchsäcke. Künftige Leichname, und doch böse in der kurzen Zeit ihres Lebens, lieben sie es, ›Tod den Juden‹ auf die Wände zu schmieren. Soll man durch die Welt ziehen und zu den Menschen reden? Sie überzeugen, dass sie Mitleid füreinander empfinden sollen, und sie mit ihrem baldigen Tod vollstopfen? Nichts zu machen, sie lieben es, böse zu sein. Der Fluch der Eckzähne. Seit zweitausend Jahren Hass, Verleumdung, Kabalen, Intrigen, Kriege. Was für Waffen werden sie in dreißig Jahren erfunden haben? Diese gelehrten Affen werden sich noch einmal alle umbringen, und die Menschheit wird an der Bosheit zugrundegehen. Sich also mit der Liebe einer Frau trösten. Aber diese Liebe zu gewinnen ist so leicht und so entehrend. Immer die gleiche alte Strategie und die gleichen erbärmlichen Beweggründe, das Fleisch und die gesellschaftliche Stellung.
Die gesellschaftliche Stellung, jawohl. Natürlich ist sie zu edel, um ein Snob zu sein, und sie glaubt, sie würde meiner Untergeneralhanswursterei keinerlei Bedeutung beimessen. Aber ihr Unterbewusstsein ist furchtbar versnobt, wie jedes Unterbewusstsein, das ja stets nur die Macht anbetet. Sie protestiert schweigend und findet meinen Geist niedrig. Sie ist dermaßen überzeugt, dass für sie nur die Kultur, die Vornehmheit, die Feinheit der Gefühle, die Ehrlichkeit, die Treue, der Edelmut, die Liebe zur Natur und so weiter zählen. Aber siehst du denn nicht, du Idiotin, dass all diese edlen Dinge Zeichen der Zugehörigkeit zur Klasse der Mächtigen sind und dass du nur aus diesem tiefen, geheimen und dir selbst unbekannten Grund einen solchen Wert darauf legst? Diese Zugehörigkeit ist es nämlich, die einen Kerl in den Augen dieser Schönen erst wirklich charmant macht. Natürlich glaubt sie mir nicht, sie wird mir nie glauben.
Betrachtungen über Bach oder Kafka sind Losungsworte, die auf diese Zugehörigkeit hinweisen. Daher die gepflegten Gespräche zu Beginn einer Liebe. Er hat gesagt, er liebe Kafka. Darüber ist die Idiotin entzückt. Sie bildet sich ein, sie sei es, weil er ein Intellektueller ist. In Wirklichkeit ist sie es, weil er gesellschaftlich etwas darstellt. Über Kafka, Proust oder Bach zu reden ist vergleichbar mit guten Manieren bei Tisch, damit, das Brot nur mit der Hand zu brechen und nicht mit dem Messer zu schneiden und mit geschlossenem Mund zu essen. Ehrlichkeit, Treue, Edelmut, Liebe zur Natur sind ebenfalls Zeichen einer sozialen Zugehörigkeit. Die Privilegierten haben Geld, warum also sollten sie nicht ehrlich und edelmütig sein? Sie sind von der Wiege bis zum Grabe beschützt, und die Gesellschaft ist gut zu ihnen, warum also sollten sie Betrüger oder Lügner sein? Was die Liebe zur Natur betrifft, sie ist in den Elendsvierteln der Städte nicht eben häufig anzutreffen. Man braucht Renten. Und was ist Vornehmheit anderes als die Manieren und das Vokabular, die in der Klasse der Mächtigen üblich sind? Wenn ich sage, ›Herr Soundso und seine Dame‹, dann bin ich ordinär. Dieser vor ein paar Jahrhunderten vornehme Ausdruck ist erst ordinär geworden, seit das Proletariat sich seiner bemächtigt hat. Aber wenn es in der guten Gesellschaft Usus wäre, ›Herr Soundso und seine Dame‹ zu sagen, so würden sie es schrecklich finden, wenn ich ›Herr Soundso und seine Frau‹ sagte. All das, Ehrlichkeit, Treue, Edelmut, Liebe zur Natur, Vornehmheit, all diese hübschen Dinge sind Beweise der Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse, und deshalb messen Sie ihnen eine solche angeblich moralische Bedeutung zu. Und das beweist, dass Sie die Macht anbeten!
Ja, die Macht, denn Reichtum, Verbindungen, Freundschaften und Beziehungen verleihen den bedeutenden Vertretern der Gesellschaft die Macht zu schaden. Daraus schließe ich, dass Ihre Ehrfurcht vor der Kultur, dem Privileg der Kaste der Mächtigen, letzten Endes und im Grunde nur Ehrfurcht vor der Macht zu töten ist, eine geheime und Ihnen selbst noch gar nicht bewusste Ehrfurcht. Natürlich lächeln Sie. Sie werden alle lächeln und die Schultern zucken. Meine Wahrheit ist
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