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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Kaugummi und willensstarkem Kinn, einen Recken, einen ganzen Mann, einen aufgeplusterten Hahn, der immer recht hat, einen Mann des Wortes und der Tat, einen Hartnäckigen und Erbarmungslosen ohne Herz, einen, der Schaden zufügen kann, letztlich einen, der zum Mord fähig ist! Der Charakter ist hier nur ein Ersatz für die körperliche Stärke und der Mann von Charakter ein Ersatzprodukt, der zivilisierte Ersatz für den Gorilla. Der Gorilla, immer der Gorilla!
    Sie protestieren und schreien, dass ich sie verleumde, weil sie wollen, dass dieser Gorilla zugleich moralisch sei! Von diesem fleischigen und starken Gorilla mit Charakter, das heißt von diesem potentiellen Mörder verlangen sie nämlich, dass er edle Worte im Munde führt, dass er ihnen von Gott spricht und dass sie am Abend vor dem Schlafengehen gemeinsam die Bibel lesen. Alibi und Gipfel der Perversion! So können diese listigen Weiber in aller Ruhe die breite Brust, die Schlägerfäuste, die kalten Augen und die Pfeife bewundern! Mit Schlagsahne bedeckte Schweinsfüße und mit Blumen und Papierspitzen geschmückte Keulen wie in den Schaufenstern der Metzgereien! Falschgeld immer und überall! Statt ›hundertachtzig Zentimeter‹ sage man gefälligst ›schön‹, oder ›stattliche Erscheinung‹, oder, in den Annoncen, ›von gutem Aussehen‹! Und statt ›gefährlich‹ und ›Dreckskerl mit kalten Augen‹, der ihnen so schön Angst machen kann, sage man ›energisch‹ und ›mit Charakter‹! Und statt ›reich‹ und ›zur herrschenden Klasse gehörig‹, sage man ›vornehm‹ und ›kultiviert‹! Und statt ›Todesangst‹ und ›egoistischer Wunsch, dass der liebe kleine Bauchnabel ewig währt‹, sage man ›Geist‹, ›Jenseits‹, ›ewiges Leben‹! Sie hassen mich, ich weiß es. Es macht mir nichts aus, und Ehre der Wahrheit!
    Nichts zu machen, paläolithisch sind sie, paläolithische Geschöpfe, Nachkommen der Weiber mit der niedrigen Stirn, die demütig dem gedrungenen Mann mit seiner Steinaxt folgten! Ich habe nicht den Eindruck, dass auch nur eine einzige Frau in den großen Christus verliebt war, als er ein Mann mit traurigen Augen war. ›Nicht männlich genug‹, miauten die jungen Damen aus Galiläa. Bestimmt warfen sie ihm vor, dass er die andere Backe hinhielt. Dagegen rissen sie Mäuler und Augen auf, wenn sie die römischen Zenturionen mit ihrem gewaltigen Kinn sahen. Oh, ihre Bewunderung erfüllt mich mit Mitleid, ihre widerliche Bewunderung für einen schweigsamen und moralischen Martin Eden, Spezialist des direkten Kinnhakens.
    O Schrecken meiner Jugendlieben, wie versessen war ich darauf, des animalischen und männlichen Gehabes wegen geliebt zu werden, das sie mir aufzwangen und von mir erwarteten. Kurz, für all das geliebt zu werden, was dem dummen Huhn am widerwärtigen Gockel gefällt. Um ihnen zu gefallen, spielte ich den Kecken, der ich gar nicht war, den starken Mann, der ich gewiss nicht war, Gott sei Dank. Aber sie liebten es, und ich schämte mich, doch ich brauchte ihre Liebe, so erbärmlich sie auch sein mochte.
    Stark, stark, sie führen nur dieses Wort im Mund. Wie sie mir damit in den Ohren gelegen haben! ›Du bist stark‹, sagten sie zu mir, und ich schämte mich. Eine von ihnen, noch geiler und weibchenhafter als die anderen, sagte sogar zu mir, ›du bist
ein
Starker‹. Das machte mich noch stärker und versetzte mich in die göttliche Kategorie der großen Gorillas. Vor Scham und Ekel bekam ich Zahnschmerzen, Scham angesichts dieser Bestialität, und am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschrien, ich sei der schwächste Mann auf Erden. Aber dann hätte sie mich fallenlassen. Und ich brauchte ihre Zärtlichkeit, diese Zärtlichkeit, die sie nur schenken, wenn die Leidenschaft sie packt, jene göttliche Mütterlichkeit der liebenden Frauen. Und allein um dieser Zärtlichkeit willen erkaufte ich mir ihre Leidenschaft, indem ich den Gorilla spielte, und Scham im Herzen, wirbelte ich energisch herum, setzte mich selbstsicher, schlug die Beine bis zur äußersten Grenze der Arroganz übereinander und argumentierte in knappen, herrischen Worten.
    All dieses Gorillagehabe, obwohl es mir so viel lieber gewesen wäre, sie würde sich an mein Bett setzen, sie in einem Sessel, ich im Bett liegend und ihre Hand oder den Rocksaum haltend, und mir ein Wiegenlied singen. Aber nein, ich musste den Willensstarken und den Gefährlichen spielen, die ganze Zeit Charakter zeigen, die ganze Zeit herumwirbeln und mir

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