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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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jetzt, Ort des Glücks, das Gesicht, ihre herrliche Qual. Vorsicht, nicht zu lange betrachten. Wenn man es zu lange betrachtete, empfand man nichts mehr. Ja, das Gesicht war immerhin das Wichtigste, das Übrige natürlich auch, alles Übrige, selbst das, was, nun ja. Er, er ganz und gar, und sie seine Nonne, von ihm ganz und gar.

    Sie zog ihren Morgenrock aus und blickte abwechselnd ihren nackten Mann und die nackte Frau ihres Mannes an. »O Sol, sei hier«, seufzte sie, und sie löschte das Licht und dachte an den Abend, sobald er kommen würde, ihre Münder. Aber sie vergaß nicht, wollte nicht vergessen, dass er es war, den sie vor allem liebte, ihn, seinen Blick. Und anschließend würde geschehen, was geschehen würde, Mann und Frau, gesegnetes Gewicht, o er, ihr Mann. Geöffnete Lippen, feuchte Lippen, sie schloss die Augen, und ihre Knie rückten zusammen.

    Warten, o Wonnen. Nach dem Bad und dem Frühstück das Wunder, von ihm zu träumen, auf dem Rasen liegend und in Decken gehüllt, oder auf dem Bauch, die Wange im Gras und die Nase auf der Erde, das Wunder, sich an seine Stimme und seine Augen und seine Zähne zu erinnern, das Wunder, vor sich hin zu summen, mit runden Augen, ihr albernes Getue übertreibend, um sich noch mehr im Duft des Grases dahinvegetieren zu spüren, das Wunder, sich die Ankunft des Geliebten heute Abend zu erzählen, sie sich wie ein Theaterstück zu erzählen, sich zu erzählen, was er ihr sagen und was sie ihm sagen würde. Im Grunde, sagte sie sich, ist es am schönsten, wenn er nicht da ist, wenn er kommen wird und ich ihn erwarte, und auch wenn er fortgegangen ist und ich mich erinnere. Plötzlich sprang sie auf, lief mit panischer Freude in den Garten und stieß einen langen Schrei des Glücks aus. Oder sie sprang über die Rosenhecken. »Solal!«, schrie die Verrückte bei jedem Sprung.

    Manchmal, wenn sie vormittags mit irgendeiner einsamen Aufgabe beschäftigt war, Pilze oder Himbeeren pflückte oder nähte oder ein philosophisches Buch las, das sie langweilte, aber sie musste sich ja für ihn bilden, oder mit schamhaftem Interesse den Ratgeber in Herzensangelegenheiten oder das Horoskop einer Frauenzeitschrift las, hörte sie sich plötzlich zärtlich zwei Worte murmeln, unwillkürlich und ohne an ihn gedacht zu haben. »Mein Liebling«, hörte sie sich murmeln. »Sehen Sie, mein Liebster« sagte sie dann zu dem Abwesenden, »sehen Sie, selbst wenn ich nicht an Sie denke, denkt es in mir an Sie.«

    Anschließend ging sie ins Haus zurück und probierte Kleider an, um zu entscheiden, welches sie heute Abend für ihn tragen würde, und dann betrachtete sie sich im Spiegel, schwelgte im Genuss, heute Abend von ihm bewundert zu werden, nahm göttliche Haltungen an und stellte sich vor, sie sei er, der sie gerade betrachtete, um sich auszumalen, was er wirklich von diesem Kleid halten würde. »Sagen Sie, lieben Sie mich?«, fragte sie ihn vor dem Spiegel und zog einen hübschen Schmollmund, leider vergebliche Liebesmühe. Oder sie schrieb ihm ohne Grund, nur um bei ihm zu sein, sich mit ihm zu beschäftigen, ihm kunstvolle und intelligente Sätze zu sagen und dafür bewundert zu werden. Sie schickte den Brief per Eilboten oder nahm ein Taxi, um ihn ins Palais zu bringen und dem Amtsdiener zu übergeben. »Sehr dringend«, sagte sie zum Amtsdiener.

    Oder sie spürte ein schreckliches Verlangen, seine Stimme zu hören, rief ihn an, nachdem sie alle eventuellen Frösche weggeräuspert und sich des goldenen Wohlklangs ihrer Stimme vergewissert hatte, und fragte ihn melodisch auf Englisch, ob er sie liebte, auf Englisch wegen der neugierigen Putzfrau. Anschließend erinnerte sie ihn, immer noch auf Englisch und mit himmlischer Stimme, überflüssigerweise daran, dass sie ihn heute Abend um neun erwarte, fragte ihn, ob er ihr das Foto von ihm zu Pferde mitbringen und ihr auch diese so hübsche Krawatte der Ehrenlegion leihen könne,
thanks awfully
, teilte ihm dann mit, dass sie ihn liebe, und fragte ihn noch einmal, ob er sie liebe, und wenn die Antwort befriedigend ausgefallen war, schenkte sie der Sprechmuschel ein Weihnachtsgeschenklächeln. Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, legte sie den Hörer auf, während ihre linke Hand noch an einer Haarsträhne nestelte, wie sie es als kleines Mädchen aus Verlegenheit getan hatte, wenn sie einem Erwachsenen hatte antworten müssen. Nachdem sie die Haarsträhne losgelassen hatte und das Herzklopfen sich beruhigt hatte, lächelte

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