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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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herumkramte: »Na wie geht’s dir, mein Alter?« Wenn sie merkte, dass sie zu ihm gesprochen hatte, bedeckte sie mit der Hand den Lästermund, bestürzt, aber doch recht stolz auf diese Leistung.

    Sie hörte plötzlich mit der Arbeit auf, beschloss, sich zu vergnügen, setzte sich an den Sekretär und schrieb zwanzig- oder dreißigmal den Namen des Geliebten und dann die anderen Namen, Lalos, Alsol, Losal. Oder sie stellte sich vor den Spiegel und sagte ihm, dass sie ihn liebe, sagte es ihm mit unterschiedlichsten Betonungen, um die gelungenste auszuwählen und sich ihrer am Abend zu bedienen. Oder sie zog sich den schwarzseidenen Morgenrock an, band sich die rote Krawatte der Ehrenlegion um und spielte ihn, um mit ihm zu sein. »Ich liebe Sie, Ariane«, sagte sie mit männlicher Stimme und küsste auf dem Spiegel die Lippen, die er heute Abend küssen würde.

    Sie zündete den Rest einer von ihm am Vorabend gerauchten Zigarette an, und es war köstlich, diese heilige Kippe zu qualmen. Oder sie wollte sehen, welches Gesicht sie gemacht hatte, als sie ihm gestern Abend die Hand geküsst hatte, wollte sehen, ob sie ihm gefallen habe. Sie berührte vor dem Spiegel mit den Lippen ihre Hand, wobei sie sich vorbeugte, eine Position, die es ihr schwer machte, sich zu sehen, aber mit viel Augenverdrehen gelang es ihr. Oder sie wiederholte, immer noch vor dem Spiegel, Sätze, die sie am Vorabend gesagt hatte. »Behalte mich, behalte mich für immer«, sagte sie, und diese Worte rührten sie. Oder sie öffnete ihren Morgenrock und betrachtete ihre Brüste im Spiegel, ihre Brüste, die er heute Abend küssen würde. »Ich gratuliere euch«, sagte sie zu ihren Brüsten. »Ihr seid mein Stolz und meine Stütze«, sagte sie zu ihnen. »Er hat ganz schönes Glück, der Kerl«, schloss sie. Oder sie ließ den Morgenrock fallen, weil sie ihren nackten Körper vor sich sehen wollte. »Wirklich hübsch, diese Person«, sagte sie. »Sind Sie sich Ihres Privilegs eigentlich bewusst, mein Guter?«, fragte sie ihn und hielt sich dabei die Nase zu, was ihr die Stimme ihrer Tante gab.

    Eines Nachmittags schlüpfte sie in ein Kleid aus naturfarbenem Leinen, das auf ganzer Länge vorne geknöpft wurde, und schloss die Fensterläden. Im köstlichen Halbdunkel knöpfte sie das Kleid bis zur Taille auf, bewegte die losen Teile wie Flügel, ging im Zimmer auf und ab und erzählte sich, sie sei die Siegesgöttin von Samothrake. »Meine Liebe, du gefällst mir wahnsinnig«, sagte sie zum Spiegel. »Nach ihm liebe ich dich am meisten«. Dann brachte sie sich, von plötzlicher Reue ergriffen, in einen weniger anstößigen Zustand, machte einen Knicks vor dem König von England, bot ihm einen Sessel an und setzte sich ihrerseits. Die Beine übereinandergeschlagen, wechselte sie ein paar Worte mit Seiner Majestät, bat ihn, das scheußliche kanadische Lied über die Lerche, die man rupft, zu verbieten, gähnte, fand ihre Zähne schön, knöpfte den oberen Teil ihres Kleides auf, nahm eine ihrer üppigen Brüste heraus und schrieb darauf mit ihrem Füllfederhalter den Namen des Geliebten.

    Plötzlich wieder ernst und sich ihrer Pflichten bewusst, vergipste sie sich Gesicht und Nacken mit einer grauen Masse, die man Schönheitsmaske nennt, saß wie versteinert im Dienst der Liebe da, ohne zu reden oder zu singen, damit der getrocknete Schlamm keine Risse bekam, und manikürte sich bisweilen, aber ohne Nagellack, den sie ordinär und katholisch fand. Anschließend wusch sie sich das Haar. »Heute Abend, heute Abend«, murmelte sie unter dem Schaum, die Hände massierend, die Augen geschlossen. Um acht Uhr abends nahm sie das letzte Bad des Tages, so spät wie möglich, um ein Wunder an Makellosigkeit zu sein, wenn er käme. In der Badewanne spielte sie mit ihren Zehen, ließ sie aus dem Wasser auftauchen und bewegte sie und erzählte sich, sie seien ihre zehn Kinder, fünf kleine Buben zur Linken und fünf kleine Mädchen zur Rechten, schalt sie, wies sie an, schnell ihr abendliches Bad zu nehmen und zu Bett zu gehen, und dann ließ sie sie wieder ins heiße Wasser zurücksinken. Anschließend erzählte sie sich erneut Geschichten, wie er in einer Stunde da sein würde, so groß und mit seinen Augen, und wie sie ihn ansehen und er sie ansehen würde und wie er lächeln würde. Ach, wie aufregend es doch war zu leben!

    Ich bleibe noch ein bisschen im Bad, aber nicht länger als fünf Minuten, hörst du, ja, einverstanden, fünf Minuten, ich verspreche

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