Die Schöne des Herrn (German Edition)
Liebeserinnerungen, wo sie von ihrem Freund erzählt, verrückt wie im Theater, ich liebe ihn, ich liebe ihn, mein Heißgeliebter und so fort, und von Küssen und wahnsinnigen Zärtlichkeiten erzählt sie, aber viel hab ich nicht lesen können, wo es doch so schwer zu lesen war, wie wenn die Ärzte einem ein Mittel verschreiben, kurz und gut, sie haben sich kennengelernt, wie ich in Paris war, und sie haben sich abends gesehen, klar, wo die Putallaz ja immer mittags schon gegangen ist, konnten sie in aller Ruhe schnäbeln, sieh mal einer an, ich hab sie immer für eine Heilige gehalten, der arme Didi, auch wenn ich ihn nicht ausstehen kann mit seinem Spazierstock und seinem Mantel auf Taille und seiner Art, so zu tun als ob, er tut mir schon leid, irgendwas muss er falsch gemacht haben, das wird es sein, und auch die Sache mit dem großen stillen Kummer ist in ihrem Heft erklärt, wo er doch überraschend abgereist ist, nur für ein paar Tage, und an dem Tag, wo er wiederkommen wollte, ist er nicht gekommen, und keine Nachricht, und sie keine Ahnung, wo er war, und da hat sie wie eine Irre im Hotel von ihrem Liebling angerufen und im Büro von ihrem Liebling, und immer noch keine Ahnung, wo er war, und in seinem Telegramm erklärt er ihr jetzt, dass er ihr nicht erklären kann, warum er an dem Tag nicht zurückgekommen ist und dass er ihr auch nicht erklären kann, warum er erst am 25. zurückkommt, also elf Tage später, von wegen großes politisches Geheimnis, und in ihrem Heft, wo ich in aller Eile drin gelesen hab, in ihrem Heft spricht sie von ihrem großen Schmerz, vor dem Telegramm, wo sie keine Ahnung hatte, was mit ihrem Geliebten los ist, und sie hat sogar überlegt, sich umzubringen, wenn es so weitergeht, ich würde ihn gern mal sehen, ihren Akrobaten, weil nach dem, was sie in ihren Erinnerungen in ihrem Heft schreibt, muss er so schön sein, dass man eine Gänsehaut kriegt, aber sie ist mir eine schöne Geheimniskrämerin, dass sie ihrer alten Mariette nichts gesagt hat, die reinste Jesuitin, sie hätte sich doch einfach bei ihrer alten Mariette ausweinen können, ich hätte sie schon getröstet, machen Sie sich keine Sorgen, Madame Ariane, Sie werden sehen, er wird Ihnen bald schreiben, wissen Sie, die Männer sind nun mal nicht so zartfühlend wie die Frauen, aber was, kein Wort hat sie mir gesagt, das werd ich ihr selbst auf meinem Totenbett nicht verzeihen, obwohl ich mich natürlich über ihr Frauenglück freue, ein Stückchen Glück, dessen Ursache ich kenne, wie es im Lied heißt, aber Sie werden sehen, sie wird alles für sich behalten, sie wird mir nichts sagen, anstatt nett mit mir zu reden, mich von Frau zu Frau um Rat zu fragen, wo sie doch alles ist, was ich im Leben hab, weil meine Nichten, reden wir nicht davon, und da es nun mal so ist, will ich sie gar nicht lesen, wetten, dass ich ihre Briefe und ihr Heft nicht lesen werde, ich werd mir einen schönen Kaffee machen und ein bisschen in dem Roman lesen, der wo viel interessanter ist, und wenn sie zurückkommt, spiel ich die Kühle, das wird ihr eine Lehre sein, aber trotzdem, so ein kleines Luder, wo ich sie doch immer für einen reinen Engel gehalten hab, obwohl ich ihr beileibe keinen Vorwurf mach, wo doch die Jugend schnell vergeht, und was wollen Sie, so ist das Leben, aber ein falsches Luder ist sie schon, dass sie mir nichts von ihrem Liebesroman erzählt hat, wo es mich doch gefreut hätte, wenn sie sich ein bisschen Abwechslung sucht mit einem schönen Mann, und recht hat sie, wo der Didi ja eigentlich für die Hörner wie geschaffen ist, das Herz ist ein kleines Glöckchen am schweren Halsband des Lebens, wie es im Lied heißt.«
LVII
In dem Taxi, das sie so herrlich schaukelte, las sie immer wieder das Telegramm, verweilte an den schönsten Stellen, lächelte sie an und billigte sie mit einer bald irren, bald erhabenen Stimme. »Ja, Liebster«, sagte sie zu dem Telegramm, und biss sich in die Hand, um die Freudenschreie, die aus ihr hervorbrechen wollten, zu unterdrücken. Dann las sie es erneut, zutiefst beglückt, fast ohne es anzuschauen, denn sie kannte es schon auswendig, hielt es von sich weg, um es besser sehen zu können, hielt es sich vor die Nase, atmete seinen Duft, presste es an ihre Wange, blickte verzückt drein und murmelte absurde Worte, schick und puff und trallala und quack und glix und bufflala.
Als das Taxi vor der Post hielt, gab sie dem Chauffeur einen Hundert-Franken-Schein, lief davon, ohne den Dank
Weitere Kostenlose Bücher