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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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an ihren Pony.
    »Du bist schön«, sagte er, nahm ihre Hand und küsste sie.
    Wortlos hielten sie sich an den Händen in der alten Karosse, er mit seiner falschen Nase, sie mit ihrer Pappkrone, Bruder und Schwester, hielten sich fest an den Händen, Königin und König eines traurigen Karnevals, während die beiden Pferde sie melancholisch anblickten und ihre züchtigen und schulmeisterlichen Köpfe schüttelten.
    Und da nahm die Zwergin ihre Krone ab und setzte sie ihrem Bruder auf, der die Augen geschlossen hatte, und sie bedeckte seine Schultern mit der Seide des Gebetsschals und legte ihm die heiligen Rollen der Gebote in den Arm. Dann stieg sie zögernd und schwankend aus der Karosse, band die beiden müden Pferde los, führte sie in die Deichseln, spannte sie an, bedeckte sie mit Samtdecken, bestickt mit Gold und alten Buchstaben, Vorhänge der heiligen Arche, und das Pferd zur Linken, das ältere, das Geschwülste an den Gliedern hatte, nickte traurig, aber majestätisch, und das Pferd zur Rechten hob fröhlich den Kopf und wieherte.
    Und aus dem Schatten herausgetreten erschien sie da, hochgewachsen und von herrlichem Antlitz, erhabene Jungfrau, lebendiges Jerusalem, Schönheit Israels, Hoffnung in der Nacht, sanfte Närrin mit erloschenem Blick, gemessenen Schritts, eine alte Puppe in den Armen wiegend und sich zuweilen über sie beugend. »Sie hat sich geirrt«, flüsterte die Zwergin, »sie glaubt, es sei das Gesetz.«
    Plötzlich lärmte es draußen wieder, und gleichzeitig mit dem Hämmern der Stiefel erklang der deutsche Gesang, Gesang der Bösartigkeit, Gesang der deutschen Freude, der Freude über das Blut Israels. »Wenn das Judenblut vom Messer spritzt«, sang die junge Hoffnung des deutschen Volkes, während sich aus dem Nachbarkeller ein anderer Gesang erhob, Gesang an den Ewigen, feierlicher Gesang der Liebe, aus den Tiefen der Jahrhunderte, Gesang meines Königs David.
    Und am Kellerfenster stehend, an dem die deutschen Stiefel vorbeimarschierten, den breiten Gebetsschal um die Schultern, den seidenen blaugestreiften, fransenbesetzten, aus einer erhabenen Vergangenheit stammenden Gebetsschal, und von Trauer gekrönt, hob der König mit der blutigen Stirn das Heilige Gesetz, Ruhm seines Volkes, in die Höhe, streckte es den Anbetern der Stärke entgegen, der Stärke, die Macht zu töten ist, drückte es an die Gitterstäbe, an denen, seelenlos und siegreich, im Paradeschritt die junge Hoffnung des deutschen Volkes vorbeimarschierte, die singend ihrer Freude über das vergossene jüdische Blut Ausdruck gab, stolz darauf, stark zu sein, stark, weil zahlreich, bejubelt von schwitzenden, blondzöpfigen, blöde die Arme reckenden Mädchen, dick und sexuell erregt von soviel gestiefelter Männlichkeit.
    Und er, der Sohn seines Volkes, stand unerschrocken da und hielt das in Gold und Samt gekleidete und mit Silber gekrönte Gesetz in die Höhe, hielt es stolz in die Höhe, das schwere, eingesperrte Gesetz, Gesetz der Gerechtigkeit und der Liebe, Ehre seines Volkes, während draußen, erfüllt von ihrer todbringenden Macht, Stolz der deutschen Nation, zum Klang der Querpfeifen und Trommeln und der lauten Beckenschläge immer noch ihre Freude über das von ihren Messern spritzende Blut Israels hinaussingend, die Folterer und Mörder der Schwachen und Wehrlosen vorbeimarschierten.

LV

    »Ach, ich arme Mariette, ich weiß gar nicht mehr, was ich tun soll, ich seufze nur noch, nicht mal der Kaffee schmeckt mir mehr, das geht nun schon seit zwei Tagen so, sie ist nicht mehr dieselbe, redet kein Wort, ich weiß nicht, warum, ich trau mich nicht, sie nach dem Grund zu fragen, seit vorgestern ist sie ganz melancholerisch, gleich nach dem Tag, wo sie doch noch so glücklich war, ja, seit zwei Tagen ist sie so, wie Magdalena am Fuß des Kreuzes, nimmt nur noch morgens ein Bad, wo sie sich doch sonst zwei oder drei leistet, will sich nicht mehr anziehen, bleibt im Bett mit Büchern, die wo sie nicht mal liest, starrt an die Decke, als ob sie auf etwas wartet, weil natürlich beobachte ich sie durchs Schlüsselloch, das ist ja schließlich meine Pflicht, wo sie doch eine Waise ist, sie spricht nicht mehr, singt nicht mehr, und ich hör sie doch so gern, jetzt liegt sie einfach nur im Bett, da muss doch was dahinterstecken, aber ich weiß nicht was, ich würde auf Liebeskummer tippen, wenn sie so eine wär, aber ich glaub es nicht, das hätt ich gemerkt, sie verbringt, wie ich schon sagte, den ganzen Tag im Bett

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