Die Schöne des Herrn (German Edition)
bezaubernd. Die subtile Harmonie dieser Farben, mattes Grün und Rosa, würde ihm gefallen.
Entzückt holte sie tief Atem, während im selben Augenblick ein gewisser Louis Bovard, ein siebzigjähriger Arbeiter, der weder einen Flügel noch einen Perserteppich besaß und zu alt war, um eine Anstellung zu finden, und ganz allein auf der Welt, sich in den Genfersee stürzte, ohne auch nur einen Augenblick die zarten Farben und die subtile Harmonie zu bewundern. Denn die Armen sind einfache Leute, sie interessieren sich nicht für die Schönheit und das, was die Seele erhebt, und unterscheiden sich wahrhaftig sehr von der Königin Maria von Rumänien, die in ihren Memoiren die ihr angeblich von Gott verliehene Gabe pries, »die Schönheit der Dinge tief zu empfinden und sich daran zu erfreuen«. Eine zartfühlende Aufmerksamkeit des Ewigen.
Unterdessen schnäuzte sich Mariette in ihrer Küche. Vorbei das schöne Leben mit den beiden jungen Leuten, vorbei die Scherze und die Plauderei. Aber ihr Schmerz war von kurzer Dauer, wenn auch lebhaft, sie erfrischte sich das Gesicht und richtete sich ihre Stirnlocke, was sie stets seelisch wieder aufrichtete, und trottete dann zu Madame Ariane.
Sie traf sie vor dem Spiegel an, wie sie gerade den neuen seidenen Morgenrock anprobierte und mit gewohnten Gesten die vorteilhaftesten Posen studierte, indem sie ein paar Schritte zum Spiegel machte, zurücktrat, sich ihm lächelnd wieder näherte, die Gürtelschnur auf- und zuband, ein Bein vorstreckte und wieder zurückzog, sich teilweise oder vollständig drehte, verschiedene Sitzhaltungen mit dem entsprechenden Übereinanderschlagen der Beine probierte, den unteren Teil mal öffnete, mal schloss, und andere ähnliche Pantomimen veranstaltete. Zu dem Schluss gelangt, dass der Morgenrock ihr gut stehe, schenkte sie Mariette ein herzliches Lächeln und holte zufrieden abermals tief Atem durch die Nase, während das Wasser des Genfersees in Louis Bovards Nase drang.
»Der steht Ihnen aber gut, Sie sehen aus wie eine Statue mit Falten«, sagte das alte Dienstmädchen versonnen mit gefalteten Händen.
»Ein bisschen zu lang, man müsste ihn zwei Zentimeter kürzen«, sagte Ariane.
Ein letztes Zuschnüren um die Taille und ein letzter dankbarer Blick auf den Morgenrock, und sie zog ihn aus, erschien nackt darunter und schlüpfte mit dem Kopf zuerst in ihr Kleid. Sieh mal an, dachte Mariette, kein Hemd, kein Unterrock, nur ihr Silpe, wie sie das Ding nennt, und darüber das Kleid, das ist alles, und dann eine schöne Bronchitis beim ersten Temperatursturz, na ja, zum Glück ist sie robust.
»Wir könnten ihn jetzt gleich kürzer machen, wenn wir uns beide dranmachen, wie wär’s, Madame Ariane? Sie von einem Ende und ich vom anderen, aber zuerst abstecken, um ganz sicher zu sein, ich geh mal das Nötige holen.«
Als sie mit Nadel, Faden und einem Zentimetermaß zurückkam, setzten sie sich nebeneinander auf das Sofa, machten sich an die Arbeit und plauderten lebhaft. Von Zeit zu Zeit hielten sie inne, feuchteten den Faden an, um ihn durch die Nadel zu bekommen, wobei sie mit den Augen zwinkerten, und setzten dann ihre althergebrachte Arbeit sanfter und bedächtiger Sklavinnen fort, mit zusammengekniffenem Mund konzentriert der Nadel folgend in der Stille, die nur von den Geräuschen der Spucke durchbrochen wurde, welche die Näherinnen einsaugten, während sie sich ihre Stiche überlegten.
Während Mariette, aufmerksam durch die Brille blickend, rasch ihre Heftnaht machte, spürte sie, dass sie zwei Freundinnen waren, die in gutem Einvernehmen als Verbündete und Komplizinnen für dieselbe Sache arbeiteten. Und sie waren unter sich, ganz vertraut, ohne die störenden Deumes und vor allem ohne diese Antoinette, diese Frömmlerin mit ihrem angeblich gütigen, in Wirklichkeit aber giftigen Lächeln, die immer die Überlegene spielte, diese Dahergelaufene, weiß der Teufel woher, und es gefiel ihr, schnell diesen Saum zu nähen, denn es handelte sich ja um den Morgenrock der Liebe, in dem sie ganz reizend aussehen würde, wenn ihr Freund käme, der hoffentlich wusste, was für ein unverschämtes Glück er hatte. Am liebsten hätte sie die Hand des schönen Mädchens ergriffen, das hier neben ihr nähte, und ihr gesagt, sie freue sich auf morgen Abend. Aber sie traute sich nicht.
»Im nächtlichen Flimmer, in sonniger Pracht«, begnügte sie sich leise zu singen, nachdem sie den Faden durchgebissen hatte.
Mariette war selig, welche
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