Die Schöne des Herrn (German Edition)
Blick. Ich bin umso großzügiger in meinen Ansichten, als ich die Jugend in ihrem Zenit vor mir habe, und eine Schönheit von solchem Übermaß, dass ich gern Eure Stolze Hoheit mit der vor den Wagen des Pharaos gespannten Stute vergleichen möchte, oder besser noch mit einem sehr jungen und gut gefüllten Gänsehals mit vielen Pinienkernen. (Sie biss sich auf die Lippe, um nicht loszuprusten.) Übrigens habe ich bemerkt, dass die Großzügigkeit immer im Verhältnis zur Schönheit und Anmut steht! (Er hustete und wartete. Was hatte sie nur, dass sie ihn so wortlos anstarrte? Er beschloss, an ihren Patriotismus zu appellieren.) Oh, liebe gnädige Frau, wie glücklich bin ich, in Ihrem Genf zu weilen, in diesem Genf, das meine dritte oder vierte Heimat ist und dessen Bürger ich wegen ihrer wohltätigen Eigenschaften so schätze! Die vorübergehenden Unannehmlichkeiten, die Sie einst einem gewissen Michel Server bereiteten, was wollen Sie,
errare humanum est!
Schwamm drüber! Um auf den Hang zur Wohltätigkeit zurückzukommen, was für eine herrliche Sache ist doch zum Beispiel Ihr Rotes Kreuz! Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke!
Inter arma caritas!
Wahrlich eine edle Devise! Ich möchte allerdings hinzufügen, dass die Mildtätigkeit auch in Friedenszeiten notwendig ist! Kurz, liebe Freundin, ich lege meine Karten auf den Tisch und füge in aller Offenheit hinzu, dass ich Onkel Saltiel, der mit einer bösen Gelbsucht auf seinem Krankenlager darniederliegt, zwar seinem Schicksal überließ und an diesen entlegenen Ort fern aller städtischen Bequemlichkeiten eilte, um Ihnen mein Entzücken mit den kleinen Artigkeiten eines Ehrenmannes zu bekunden, aber auch, das muss ich gestehen, da ein entsetzlicher Geldmangel mich niederdrückt, weil ich auf einen durchaus zulässigen Gewinn zu hoffen wagte!«
Er verlieh diesen letzten Worten besonderen Nachdruck, denn diese Heidin war wirklich schwer von Begriff. Er setzte seinen Zylinder wieder auf und wartete mit verschränkten Armen und abgespreizten nackten Füßen. Würde sie sich nun endlich entschließen, diese geizige Person, oder nicht? Da tauchte Michael mit den beiden Pferden auf. Nachdem er Eisenbeißer beiseite geschoben hatte, beugte er das Knie vor der Schönen und küsste den Saum ihres Kleides. Dann stand er auf, fasste sie um die Taille und hob sie, wobei er sie fester als notwendig drückte, im Damensitz auf den Schimmel.
»Ich bedaure«, sagte sie lächelnd zu Eisenbeißer, »aber ich habe kein Geld bei mir.«
»Daran soll es nicht scheitern, liebe Hoheit!«, rief er lebhaft. »Ich nehme auch Wechsel und Eigenwechsel, die praktische Zahlungsmittel sind, und ich habe auch ergebenst das dazu erforderliche Papier und einen Bleistift bei mir! Überdies klappern meinen armen Töchtern dermaßen vor Kälte die Zähne, dass man es bis zur Festung der Podestaten hört«, fügte er mit liebendem Blick hinzu, während er mit der Hand keusch und zärtlich über den Hermelinmantel strich. »Die Unglücklichen hatten sich schon immer warme Kleidung gewünscht, und nachts reden sie davon in ihren Träumen. Folglich, liebe Wohltäterin, werden sie Ihre offene Hand segnen, und Gott wird es Ihnen hundertfach vergelten«, schloss er, indem er sich plötzlich des Mantels bemächtigte, den Michael ihm jedoch sofort wieder aus den Händen riss und der Reiterin zurückgab. »Verflucht seist du, du Hermelinverhinderer!«, schrie Eisenbeißer. »Und verflucht seien die lüsternen Knochen deiner Großmutter!«
Sie streichelte den Hals des Pferdes, nahm die Zügel und gab Eisenbeißer ihren Pelz zurück, der ihr dankte, indem er die Hand zuerst auf sein Herz legte und dann an die Lippen führte und Michael, der mit seiner Wasserpfeife unter dem Arm auf dem anderen Pferd saß, schelmisch zuzwinkerte. In diesem Augenblick kam Salomon wie ein kleiner Wirbelwind herbeigestürmt, mit beiden Händen einen Strauß Mohnblumen umklammernd, den er ganz außer Atem der schönen Reiterin darbot. Und dann sagte er vor seinen beiden fassungslosen Cousins mit vor Bewegung erstickter Stimme ein hübsches selbst verfasstes Gedicht auf, in dem von »zauberhaften Blumen, die ich wähle, Madame, als Spiegel Ihrer Seele« die Rede war.
Nachdem er geendet hatte, stellte sich der in Lammfell gekleidete kleine Schatz auf die Zehenspitzen, um seine Belohnung zu empfangen. Sie beugte sich hinunter, hob ihn hoch und küsste ihn mit einer solchen Kraft, dass er vor lauter Freude davonzufliegen
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