Die Schöne des Herrn (German Edition)

murmelte er und wischte sich den Hauch einer Träne weg. Und hatte wieder Hunger.
    »Lieber Salomon«, sagte er, »hättest du noch ein paar gesalzene Pistazien, die du mir in deiner unendlichen Güte überlassen könntest?«
    »Es tut mir leid, lieber Eisenbeißer, ich habe keine mehr, ich habe sie dir alle gegeben.«
    »Dann sollst du krepieren«, murrte Eisenbeißer gähnend.
    »Das ist nicht wahr«, lächelte Salomon, »denn ich weiß, dass du mich liebst, letztes Jahr, als ich sehr krank war und mit einundvierzig Grad Fieber fast im Sterben lag, da hast du eine ganze Nacht an meinem Bett gewacht und sogar geweint, ich habe deine Tränen gesehen! Also! Und nun sag mir, lieber Freund, der du alles weißt, wie stellt man es an, einem sittsamen jungen Mädchen zu verstehen zu geben, dass man für es in Liebe entbrannt ist? Wie ist da der übliche Vorgang?«
    »In der Regel teilt man es ihr in einem eingeschriebenen Brief mit Empfangsbestätigung mit.«
    »Aber was sagt man ihr in diesem Brief?«
    »In der Regel sagt man ihr Folgendes: ›Angebetete meines Herzens, ich beehre mich, Ihnen hiermit zu Ihrer geschätzten Kenntnis zu bringen, dass Ihr sittsames Betragen und Ihre gescheite Konversation mich zu bezaubern vermochten und dass ich mich heute Abend unverzüglich zu Ihnen begeben werde, um Ihnen meine Flamme frei Haus zu liefern.‹«
    »Nicht schlecht«, sagte Salomon. »Aber ich würde ihr lieber sagen, dass ich sie aus tiefstem Herzen liebe, und zwar in allen Ehren.«
    »Und sie wird dich auslachen«, sagte Michael.
    »Da muss ich widersprechen«, sagte Salomon. »Sie wird mich charmant finden, denn die jungen Mädchen lieben den Respekt eines aufrichtigen Herzens. Und jetzt muss ich noch einmal ein kleines Bedürfnis verrichten«, endete er und lief davon.
    »Eisenbeißer, wie hieß es am Schluss deines Briefes?«, fragte Michael.
    »Um Ihnen meine Flamme frei Haus zu liefern.«
    »Ja, meinetwegen, aber wenn sie verheiratet ist, wäre es gut hinzuzufügen ›ohne dass Ihr Gehörnter etwas merkt‹, um sie zum Lachen zu bringen. Frau, die lacht, ist dir gut für die Nacht. Aber warum eigentlich ein Brief? Man braucht sie doch nur zu einem kräftig gewürzten Mahl einzuladen, scharfes Pökelfleisch, gefolgt von Rotbarben mit scharfen Pfefferschoten, und sie wird leidenschaftlich noch vor der Nachspeise.«
    »Du hast leider nicht unrecht«, sagte Eisenbeißer. »›Fisch und Gesalzenes befördern die Triebe – Und dem Meer, sagt man, entstieg Venus, die Göttin der Liebe.‹ Das habe ich bereits in meiner Abhandlung über medizinische Poesie geschrieben.«
    »Oder aber«, sagte Michael, »ich nehme einen Silbertaler zwischen meine Zähne und beiße ihn vor ihr entzwei, und dann ist sie verrückt nach mir. Oder ich gebe ihr, wenn ich mit ihr tanze, durch eine gewisse Reaktion meines Organismus zu verstehen, dass sie mir gefällt. Daran nehmen sie nie Anstoß, solange man ihnen gleichzeitig zartfühlende und unendlich respektvolle Worte sagt.«
    »Es muss wohl stimmen, dass du arabisches Blut in deinen Adern hast«, sagte Eisenbeißer, plötzlich angeekelt von Michaels wulstigen Lippen. »Jetzt schweige aber, denn hier kommt unser Kleiner zurück.«
    »Ein Uhr früh«, verkündete Mattathias.
    Er stand auf, sagte, das sei mehr, als ein vernünftiger Mensch ertragen könne, und diese stetig steigende Schuld auf der Uhr der helvetischen Franken verursache ihm Folterqualen. Nachdem er von Michael das Versprechen auf Rückzahlung erhalten hatte, ging er zum Taxichauffeur, reichte ihm angewidert die auf dem Zähler angegebene Summe, wünschte ihm, er möge sich alle Knochen einzeln brechen auf seinem Weg ins Verderben, und gab ihm ganz unerwartete Auskünfte über den Lebenswandel seiner weiblichen Verwandtschaft, der direkten wie der angeheirateten.

LXXVII

    Eisenbeißer hatte sich seinen Gehrock wieder angezogen und, allen Gefahren trotzend, seinen Spähposten auf einem Heuhaufen eingenommen, einen Meter über dem Boden. Bald hielt er die Hand schirmend über die Augen, bald blickte er durch sein Marinefernrohr und suchte den Horizont ab, um das Aufkreuzen der Dame zu verkünden.
    »Land in Sicht!«, rief er plötzlich mit erstickter Stimme.
    Woraufhin Michael zum Wald rannte, wo die beiden Pferde angebunden waren, während der Späher, vorsichtig und von einer seltsamen Erregung ergriffen, von seinem Heuberg kletterte. Es gibt sie also doch, die Liebe, dachte er. Die hohe, schöne Gestalt kam auf sie zu, ging dem