Die Schöne des Herrn (German Edition)
sich noch einfallen lassen? Die Szenen der letzten Tage hatten Belebung gebracht und die Zeit vertrieben, aber sie hatte zu sehr darunter gelitten. Er musste etwas anderes finden.
Noch einmal nach Italien? Nicht den Mut dazu. Im Übrigen würden sie sogar in Venedig nur sich selbst wiederfinden. Und am Ende jeder Eisenbahnfahrt hatte sie immer die Nasenlöcher voller Ruß gehabt. Er hatte sich zwar bemüht, nicht hinzuschauen, hatte sich jedoch immer wieder unwiderstehlich von der Abscheulichkeit der beiden schwarzen Löcher angezogen gefühlt. Gewiss, im Hotel hatte sie sie dann wie alles Übrige gesäubert, aber die letzten Stunden im Zug, in denen sie, die arme Unschuld, ihn edelmütig angelächelt und ihm dabei ihre verrußten Nasenöffnungen gezeigt hatte, waren unerträglich gewesen. Diese wahnsinnige Lust, die ihn gepackt hatte, ein Taschentuch zu nehmen und ihr die Nase wie einen Schornstein auszufegen. Weiß Gott, sie hatte besondere Nasenlöcher, die jeden Ruß sofort in sich aufnahmen, und er reagierte allergisch auf rußige Nasenlöcher.
»Los, an die Arbeit.«
Auftritt des Pfaus, sagte er sich, als er die Tür zum Zimmer der Wonnen aufstieß, in dem sie ihn, makellos in dem von ihr persönlich gebügelten Kleid, mit einem göttlichen Lächeln empfing, dem sogleich ein Kuss auf die Hand folgte. Dieser Kuss ist nur noch ein Ritual, dachte er. O der heilige Handkuss des ersten Abends im Ritz, dieses leidenschaftliche Geschenk der Seele.
»Ein wenig Musik?«, schlug sie vor.
Gerührt von so viel unbeholfenem gutem Willen, versicherte er, er würde gern etwas Musik hören. Sie zog also das Grammophon auf und zermalmte Solals Herz. Eine andere Mozartarie erklang, und sie ging langsam auf ihn zu, so priesterinnenhaft feierlich, dass er erschrak und kaum merklich zurückwich, zugleich jedoch eine nervöse Lachlust angesichts des merkwürdigen Zeremoniells ihrer Kaumuskeln bezwingen musste. Wenn sie sich ihm nämlich mit bestimmten Absichten näherte, presste sie, als Zeichen von Liebe oder Liebesverlangen, stets die Backenzähne aufeinander, als wollte sie zubeißen, was die Wangenmuskeln hervortreten ließ und bei ihm unweigerlich einen mehr oder weniger erfolgreich unterdrückten Lachkrampf auslöste. Von Mozart inspiriert, bot sie ihm die Lippen, die er sofort nahm, hocherfreut, dem Krampf seiner traurigen Lachlust zu entkommen, und wie sie lebhafte Freude heuchelnd. Sie allerdings ahnte nicht, dass sie nur heuchelte. Während des Kusses, den er in die Länge zog, weil er nicht wusste, was er ihr sagen sollte, dachte er, dass damals in Genf eine musikalische Untermalung ihrer Küsse nicht für notwendig erachtet worden war. Denn zu jener Zeit hatte ihre Liebe die Musik geliefert.
Nachdem diese seltsame Saugtätigkeit zwischen Mann und Frau ihr Ende gefunden hatte, drehte er das Radio an in der Hoffnung auf irgendeine gesprochene Sendung. Aber eine vor Schmachten völlig verblödete Sängerin forderte ihn sofort auf,
parlez-moi d’amour, redites-moi des choses tendres
. Er brachte sie zum Schweigen und beschloss, diese andere Frau zu nehmen, die hier bei ihm war. Damit wäre eine Stunde gewonnen, denn nachdem er sie beruhigt hätte, könnte er Schlaf vortäuschen. Also los, ihr dieses verdammte Kleid ausziehen und mit den Präliminarien beginnen.
Um zwei Uhr fünfunddreißig streichelte sie, nachdem sie die ihr gebührende Huldigung erhalten hatte, seine nackte Schulter. Verkanntes Opfer, zog er die Augenbrauen hoch. Ja, das war das Ritual, das Ritual nach der Gymnastik, der die Frauen eine so eigenartige Bedeutung beimaßen. Diese Manie, nach erloschener Raserei der Wollust sofort zum Gefühl überzugehen, mittels dieses Madrigals der leichten Finger, die sie über den Hals des Hengstes spazieren ließen. Im Grunde schmeichelte sie ja nur dem Hengst, liebkoste und tätschelte ihn, um ihm dafür zu danken, dass er sich ganz gut geschlagen hatte. Die Arme, die ihn mit diesen poetischen Liebkosungen zu bezaubern glaubte. O Qual der nimmer enden wollenden süßen Zärtlichkeiten. Außerdem lag sie viel zu dicht neben ihm, und ihre feuchte Haut war klebrig. Er rückte ein wenig von ihr ab, und als die Körper sich trennten, gab es einen kleinen Knall, als zöge man einen Saugnapf ab. Doch jetzt klebte sie schon wieder an ihm. Aus Liebe natürlich. Noch einmal abrücken wäre unhöflich. Also leiden, weiter an ihr kleben, nett sein, dieser viel zu Nahen Nächstenliebe entgegenbringen. Ich bin abscheulich,
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