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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Geliebten zu und gefiel sich in dem Gedanken, dass die Hotelangestellten von ihrem Verliebtsein geblendet waren, ihre Liebe liebten, sich zu ihren Komplizen machten und in ihnen die Fürsten der Leidenschaft verehrten. Sie ahnte ja nicht, was ein großzügiges Trinkgeld vermochte.
    Beim Dessert vereinten sie ihre Lippen und intensivierten diese Vereinigungen bisweilen noch, indem sie sich die Weintraube teilten, die sie ihm zwischen ihren Zähnen darbot. Was für ein herrliches Leben, dachte sie. Zwischen zwei Küssen betrachtete sie ihn, liebte zärtlich ihren Besitz, bewunderte ihn für alles, sogar dafür, dass er mit Orangen jonglieren konnte. Die sexuelle Leibeigenschaft verdummt sie ein bisschen, dachte er. Doch er liebte sie und war glücklich.
    Nach dem Kaffee, während der Kellner den Tisch abräumte, zogen sie sich in Arianes Zimmer zurück. Bei heruntergelassenen Jalousien schlüpfte sie im Badezimmer wieder in ihr Negligé, kam frisch gepudert und in den Achselhöhlen parfümiert zurück und lockte ihn mit einladenden Blicken oder Worten. »Möge es meinem Herrn gefallen, das Lager seiner Dienerin zu teilen«, hatte sie eines Tages zu ihm gesagt, stolz auf diese biblische Einladung. Er hatte verlegen gelächelt und gehorcht.
    Manchmal brachte sie am Abend ein Taxi zum Moscou, dem russischen Restaurant in Cannes. Dort saßen sie, elegant und mit leicht umflortem Blick, und begannen mit Blinis und Kaviar, während in Agay die alte Herzkranke mit kleinen Schritten in Pantoffeln durch ihre Zimmer schlurfte und, ihren Tod beschleunigend, ihre beiden Badezimmer und das verwüstete Bett in Ordnung brachte. Sie saßen nebeneinander, vermieden es, sich zu berühren, bewahrten ihr Geheimnis und verhielten sich anständig. Sie hatte ihr mondänes Gesicht aufgesetzt und siezte ihn beharrlich. Diese förmliche Sprechweise bedeutete ihr viel, sie gab ihr das Gefühl, dass ihre Liebe etwas Priesterliches hatte, und schenkte ihr die Gewissheit, dass sie erhabene Liebende seien.
    Doch sie fuhren selten nach Cannes. Abends kehrten sie gegen zehn nach ihrem Spaziergang an der Strandpromenade, wo das Meer rauschte und seine Wellen auf dem durstigen Sand ersterben ließ, ins Hotel zurück, wo Paolo, der Liftboy, ein kleiner schüchterner, fetter und kraushaariger Italiener, der es nicht fassen konnte, eine so gute Stellung im Royal ergattert zu haben, sie mit einem leidenschaftlichen Lächeln begrüßte. Er zappelte in hündischer Freude, wenn er den Herrn und seine schöne Dame eintreten sah. Voller Ergebenheit und stolz, ihnen zu dienen, scharwenzelte er um sie herum und öffnete die Fahrstuhltür mit vornehmen Gesten. Während der Fahrt ließ er sie nicht aus den Augen, himmelte sie unschuldig lächelnd an und saugte seine Spucke ein, um wohlerzogen zu wirken, verzweifelt bemüht zu gefallen, überglücklich über seinen kleinen wichtigen Posten, der es ihm gestattete, Menschen aus der vornehmen Welt zu sehen und sozusagen mit ihnen zu verkehren. Auf der Etage angekommen, öffnete dieser Engel die Tür in dankbarer Ehrerbietung, grüßte knapp und verneigte sich tief. Sie schenkte ihm dafür eines ihrer bezaubernden Lächeln, mit denen sie so freigiebig war. Dann vergaß sie ihn.
    Zurück in ihrem Appartement, fanden sie auf dem Tisch des Salons, warmgehalten in Decken und einem Federbett, das Abendessen, das der Oberkellner, kurz bevor die Küche schloss, noch heraufgebracht hatte. Sie setzten sich zu Tisch, und sie bediente ihn, schenkte ihm Burgunder ein, forderte ihn auf, noch etwas Fleisch zu nehmen, diskret darum bemüht, ihn gut zu ernähren.
    An einem der letzten Septemberabende, als sie ihrem Geliebten gerade unaufgefordert ein zweites Schnitzel auf den Teller legte, senkte er den Blick, weil er sich der Fürsorge schämte, mit der sie ihn überschüttete. Würde sie ihn jetzt im Bad auch bald mit einem Strohwisch abreiben? Würde sie ihm die Schuhe putzen? Hatte sie nicht, dachte er, seit ein paar Tagen Vergnügen daran gefunden, ihm die Nägel zu feilen? Doch als er sie da vor sich sah, wie sie demütig und ergeben sein Schweigen respektierte, empfand er eine große Zärtlichkeit für sie. Er war ihr ganzer Glaube, für ihn hatte sie alles aufgegeben, gleichgültig gegen das Urteil der Welt, lebte nur noch für ihn, hatte keine andere Erwartung als ihn. Und plötzlich sah er sie in ihrem künftigen Sarg, bleich und steif, und das Mitleid, das er für sie empfand, tat ihm weh. Und er küsste diese Hände, die ihn

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