Die Schöne des Herrn (German Edition)
allein lassen?
Also los, schnell, mit ihr reden, nicht vor diesem Fenster stehen bleiben. Doch was sollte er ihr in Gottes Namen sagen? Sie hatten sich ja schon alles gesagt, sie wussten alles voneinander. O die Entdeckungen der Anfänge. Sie liebten sich eben nicht mehr, würden einige Idioten sagen. Er strafte sie mit Blicken. Das stimmte nicht, sie liebten sich, aber sie waren ständig zusammen, allein mit ihrer Liebe.
Allein, ja, allein mit ihrer Liebe seit drei Monaten, nur ihre Liebe leistete ihnen Gesellschaft, seit drei Monaten beschäftigten sie sich mit nichts anderem, als einander zu gefallen, hatten sie nur ihre Liebe, die sie vereinte, konnten sie immer nur von Liebe reden, immer nur Liebe machen.
Er blickte sie von der Seite an. Geduldig saß sie da, seine sanfte Gläubigerin, und wartete, wartete auf Glück. Na los, bezahl schon, erweise dich als der herrliche Liebhaber, für den sie alles verlassen hat, entschädige sie dafür, dass sie ein anständiges Leben aufgegeben hat, dass sie sich für das Unglück ihres Ehemanns verantwortlich weiß. Los, du Schuldner, gib ihr einen Lebensinhalt und neue Freuden. Los, sei erfinderisch, sei Autor und Darsteller zugleich.
Ja, mit ihr reden, schnell! Doch worüber? Er arbeitete nicht mehr. Von wem sollte er reden? Ihm fiel niemand ein. Ihr sagen, warum er nicht arbeitete, warum er niemanden sah? Ihr seine Entlassung gestehen? Ihr den Verlust der französischen Staatsbürgerschaft gestehen? Ihr gestehen, dass er nichts mehr war, nichts, nur noch ein Liebhaber? Nein, das durfte er nicht. Sein gesellschaftliches Ansehen hatte ja zur Liebe dieser Frau beigetragen, tat es immer noch. Diese Bedauernswerte war doch so stolz auf ihn, diese Illusion durfte er ihr nicht rauben. Also die Lüge vom langen Urlaub weiter aufrechterhalten. Doch früher oder später würde sie die Wahrheit erfahren. Nun ja, dann konnte man sich immer noch das Leben nehmen.
Noch einmal mit ihr schlafen? Keine Lust. Er konnte schließlich nicht dauernd mit ihr schlafen. Außerdem empfand sie, ohne es selbst zu wissen, schon weniger Vergnügen an diesen Vereinigungen. Doch sie bestand mehr denn je darauf. Solange sie begehrt wurde, fühlte sie sich geliebt. Völlig absurd, aber so waren die Frauen nun mal. Ein, zwei Tage ohne diesen Test, ohne diese barometrische Messung, ohne dieses verdammte Examen, und sie war beunruhigt. Gewiss, sie war zu vornehm und diskret, um ein derartiges Thema anzuschneiden oder auch nur eine Anspielung zu machen. Doch er spürte ihr Unbehagen. Kurz, es war seine Pflicht und Schuldigkeit, sein Leben in den Dienst der Leidenschaft zu stellen, mit eindeutigen Beweisen, um weibliches Leid zu vermeiden. Liebt er mich noch und so weiter. Sanfte und gehorsame Dienerin, aber schrecklich anspruchsvoll. Die Arme sagte kein Wort, wartete demütig, respektierte sein Schweigen. Er musste sie beschäftigen. Aber womit? Er konnte sie doch nicht ununterbrochen begehren. Also was tun, um die Stunden bis zum Abendessen auszufüllen? Wenn er weiter schwieg, war sie imstande, ihm einen Spaziergang vorzuschlagen. Es war eine Manie von ihr, bei schneidendem Wind mit ihm spazieren gehen zu wollen. Welches Vergnügen fand sie nur daran, schweigend einen Fuß vor den anderen zu setzen und immer so weiter, in beharrlichem Schweigen, denn während dieser schrecklichen schleppenden Beingymnastik bei schneidendem Wind fiel ihm kein Gesprächsthema ein. Das einfachste war noch, sie vorlesen zu lassen.
»Nimm doch noch einmal den Roman von gestern, Liebling. Ich möchte gern hören, wie es weitergeht. Und du liest so schön.«
***
Tja, er war der Verantwortliche, der Kapitän der Karavelle, dachte er, während sie ihm aus diesem intelligenten und schmalen französischen Roman vorlas, sich um deutliche Aussprache bemühte, die Dialoge durch wechselnden Tonfall lebendig gestaltete, mit lächerlich männlicher Stimme sprach, wenn der Held etwas sagte, rührend in ihrem Streben nach Vollkommenheit, das ihm auf die Nerven ging. Ja, der Verantwortliche, der jeden Tag die endlose Farce der Liebe inszenieren, jeden Tag neue Möglichkeiten des Glücks erfinden musste. Und das Schlimmste war, dass er diese Unglückliche zärtlich liebte. Aber sie waren allein, und nur ihre Liebe leistete ihnen Gesellschaft.
Das Grammophon mit Kurbel. Ein kalter Schauer war ihm über den Rücken gelaufen, als sie es ganz begeistert aus Saint-Raphaël mitgebracht hatte. Das war das erste Leck ihrer Karavelle. In ihrer
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