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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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dachte er, ja, abscheulich, denn dieser Übergang vom Sexuellen zur Zärtlichkeit ist schön, und ich sollte sie dafür achten, aber ich bin ein Scheusal. Gestern hatte sie, als er sie aus Spaß und eigentlich nur, um ihr eine Freude zu machen, auf dem menschenleeren Strand verfolgt hatte, die schrillen Schreie eines erschreckten Mädchens ausgestoßen, rennend und albern herumhüpfend, die Arme wie ausgerenkte Flügel schwenkend, unbeholfen, hysterisch plötzlich und mit seltsam unkoordinierten Bewegungen, plötzlich ein hochaufgeschossener Backfisch, und er hatte Widerwillen verspürt, eine Art Ekel, Scham, ein Gefühl von Erniedrigung, als liefe er einem riesigen weiblichen Kanarienvogel hinterher. Ein Scheusal, ja, und doch liebe ich sie, wie ich noch nie jemanden geliebt habe, empfinde eine wahnsinnige Zärtlichkeit für sie, wenn ich auf ihrem Gesicht die geringste Spur der schwindenden Jugend entdecke, eine leise Ankündigung des späteren Alters, des vorherbestimmten Alters, und dann werde ich nicht mehr da sein, um über sie zu wachen, über dich, mein Liebling, mein teurer Liebling, und wie du sage ich in meinem Bad ganz unwillkürlich »mein Schatz«, und dieser Schatz, mein Liebling, mein armer Liebling bist du.
    »Woran denkst du?«, fragte sie.
    Er wusste genau, was sie wollte. Komplimente wollte sie, lobende Kommentare über ihr wildes Treiben eben, ihn sagen hören, es sei so und so weiter gewesen, und noch nie sei es so und so weiter gewesen, und das alles mit diesem schrecklichen Ausdruck »Freude empfinden«, den sie für edler und weniger technisch hielt als den anderen. Er fügte sich und lieferte die gewünschte Exegese, worauf sie sich in ihrer jetzt besonders klebrigen Nacktheit dankbar noch enger an ihn schmiegte. Entschlossen, perfekt zu sein, ertrug er es, ohne sich zurückzuziehen, und sie setzte ihr mütterliches Fingerspiel fort, ließ die Finger im Slalom über die Schulter spazieren, was ihm eine schreckliche Gänsehaut verursachte.
    Im Grunde wäre es am besten, so zu tun, als schliefe er. Auf diese Weise hätte er Ruhe und brauchte keine Poesie mehr. Er rollte sich also zur Seite, schloss die Augen und stellte sich schlafend, was sie veranlasste, ihn noch sanfter zu streicheln. In Spiralen und Schnörkeln, wie eine gewissenhafte Handwerkerin, stolz auf ihren Liebesdienst und das Vergnügen, das sie ihm eben noch bereitet zu haben glaubte, geduldig und empfindsam, unermüdliche Priesterin und anmutige Dienerin, streichelte sie ihn sanft, um ihn zu bezaubern und schläfrig zu machen, während durch das offene Fenster der urzeitliche Geruch des Meeres und sein gleichgültiges Rauschen drang.
    Aber diese unendlich verfeinerten Zärtlichkeiten waren schlimmer als die normalen, denn sie verursachten nicht nur zunehmend eine Gänsehaut, sondern auch ein heftiges Kitzelgefühl, und er biss sich heftig auf die Lippe, um ein krampfhaftes Lachen zu unterdrücken. Um dem ein Ende zu setzen, ohne sie zu verletzen, stieß er den Seufzer eines tief Schlafenden aus, in der Hoffnung, sie würde begreifen, dass keine Notwendigkeit mehr bestand, ihn zu verzaubern. Gott sei Dank hörte sie auf.
    Der Arm des Geliebten auf ihrer Schulter tat ihr weh, doch sie verharrte reglos, um ihn nicht aufzuwecken, betrachtete ihn, wie er da ruhte, die Wange auf ihrer Brust, und war stolz darauf, dass er in ihren Armen eingeschlafen war und sich vertrauensvoll an sie schmiegte. Er gehörte ihr, er schlief unschuldig dicht neben ihr. Der Krampf in der Schulter war schmerzhaft, aber sie rührte sich nicht, glücklich, um seinetwillen zu leiden, und strich ihm ganz sanft über das Haar. Und wenn ich eine Glatze hätte, dachte er, würde sie mir den kahlen Schädel streicheln? Sie beobachtete ihn, wie er ruhig atmete, das Haar zerzaust, und wachte über ihn. Du bist auch mein Sohn, dachte sie, voller Zärtlichkeit für ihn. Du arme Betrogene, dachte er.
    Plötzlich von Reue gepackt, öffnete er die Augen, spielte den soeben Erwachten und drückte sich an sie. Sie traute sich nicht, ihren Krampf zu erwähnen, richtete sich nur leicht auf und hoffte, er würde von selbst seinen Arm wegnehmen. Da nahm er ihre Hand und küsste sie, und sie atmete tief durch, gerührt, dass dieser Mann, der sie vorhin noch besessen hatte, ihr nun seinen Respekt bezeugte. »Geliebter, möchten Sie etwas Obst?«, fragte sie und genoss das »Sie«, denn sie lag nackt neben ihm. Das trifft sich gut, dachte er, denn beim Obstessen hielt sie sich

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