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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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bedienten, diese noch lebendigen Hände.

***

    An einem der ersten Oktoberabende nach dem Essen sprach sie, die Beine übereinandergeschlagen, über Musik und dann über Malerei, ein Thema, von dem er nichts verstand und das ihn nicht im geringsten interessierte, was zur Folge hatte, dass er zerstreut und mit geheucheltem Interesse wie ein braves Pferd nickte. Dann sagte sie, sie sei müde, schaltete den Kronleuchter aus, bedeckte die Nachttischlampe mit einem roten Schal und streckte sich auf dem Bett aus.
    Mit halb geschlossenen Augen betrachtete sie ihn lächelnd in dem dämmrigen Licht, und plötzlich hatte er Angst vor diesem Lächeln, diesem Lächeln, das aus einer anderen Welt kam, einer dunklen und mächtigen Welt, Angst vor dieser wartenden Frau, Angst vor diesen zärtlichen Augen, Angst vor ihrem monomanischen Schimmer, Angst vor diesem Lächeln eines einzigen Wunsches. Da lag sie, sanft und zaubermächtig, mit ihrem Lächeln der Erwartung im matten dunkelroten Schein der Lampe, schweigende Ruferin, liebend, schrecklich. Er erhob sich und trat in die Welt der Frauen.
    Besessen wand sie sich unter ihm, umschlang ihn, drückte ihn mit den Armen und den angewinkelten Schenkeln, die seine Lenden umklammerten, fest an sich, und er hatte Angst, derart festgehalten und angeschirrt zu sein, Angst vor dieser Unbekannten unter ihm in magischer Verwirrung, sich selbst entfremdet, vor dieser im Orgasmus epileptisch zuckenden Prophetin, die ihn plötzlich mit dem verzückten Lächeln einer Wahnsinnigen anblickte, die ihn ganz wollte, auf bedrohliche Weise alles von ihm wollte, die ihm seine Kraft nehmen und von ihr zehren wollte und die ihn aufsaugte, liebender Vampir, ihn in der dunklen Welt behalten wollte.
    Besänftigt und zur Sprache zurückgekehrt, ihn jedoch immer noch in sich behaltend und in sich drückend, sprach sie ganz leise. »Geliebter, auf immer zusammen, auf immer uns lieben, das will ich«, sagte sie mit ihrem Lächeln einer Wahnsinnigen, und er erzitterte, gefangen in ihr, die ihn fest an sich drückte.

LXXXII

    Als er an einem der letzten Oktobertage in ihr Zimmer trat, erhob sich eine Stimme wie eine reine Lilie und ließ die Arie des Cherubino ertönen.
»Voi che sapete che cosa è amor.«
Mit glänzenden Augen betrachtete sie die Wirkung der Überraschung auf dem Gesicht ihres Geliebten, setzte sich zu ihm, und sie tauschten Küsse aus, während ihnen aus dem Grammophon Mozart durch eine Wiener Sängerin mitteilen ließ, was für ein Ding ihre Liebe sei. Nachdem der Gesang verklungen war, erhob sie sich und stellte die Platte ab. Er lobte die Arie, zollte Mozart die ihm gebührende Bewunderung und gratulierte ihr, dass sie das Grammophon gekauft hatte. Stolz holte sie tief Luft und berichtete ihm dann lebhaft, mit jenem Musterkindgesicht, das sie aufzusetzen pflegte, wenn er ihr Komplimente machte.
    »Die Idee ist mir ganz plötzlich gekommen, und ich dachte, es würde Ihnen gefallen, deshalb bin ich schnell nach Saint-Raphaël gefahren, um eins zu kaufen. Leider ist es ein Modell, das man ankurbeln muss. In dem kleinen Laden hatten sie noch nicht diese neuen Plattenspieler, die elektrisch betrieben werden. Aber das ist egal, nicht wahr? Ich habe auch schon zwanzig Platten gekauft, Mozart, Bach, Beethoven. Das ist doch schön, nicht wahr?«
    »Herrlich«, sagte er lächelnd. »Wir werden sie alle spielen, um unseren zweiten Monat hier zu feiern.«
    Sie bot ihm ihre Lippen zur Feier dieses sechzigsten Tags ihrer Liebe in Freiheit. Dann kommentierte sie die Mozartarie, die sie schon zweimal als wunderbar bezeichnet hatte. Um sein Interesse zu bezeugen, bat er sie, sie noch einmal zu spielen. Beherzt drehte sie die Kurbel, blies die Staubkörnchen von der Platte und setzte behutsam die Nadel auf. Die wunderbare Arie erklang erneut, und sie setzte sich und legte ihre Wange auf Solals Schulter. Umschlungen lauschten sie den zwanzig doppelseitigen Platten, wobei sie häufig aufstehen musste, um die Feder wieder aufzuziehen; dann kehrte sie zu ihm zurück und blickte ihn während des Abspielens der Platte an, um den Genuss mit ihm zu teilen und zu sehen, ob es ihm gefiel. Sie kommentierte jedes Stück, und er stimmte ihr zu. Und noch einmal erklang das
»Voi che sapete«
, um das nachmittägliche Konzert dieses sechzigsten Tags zu beschließen.
    »Ihr, die ihr wisst, was Liebe ist«, summte sie übersetzend und schmiegte ihre Wange an die des Geliebten.
    Um sieben Uhr vierzig verkündete sie ihm eine

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