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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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ersten Nacht hatten sie kein Grammophon gebraucht. Die Mozartarie war eine Vitamintablette. Wenn dieses verdammte
»Voi che sapete«
erklang, spürte sie, wie ihre Liebe sich wiederbelebte. Mozart lieferte die Gefühle, die das Herz nicht mehr selber fabrizierte. Ein weiteres düsteres Zeichen von Vitaminmangel war das Bedürfnis nach einem gewissen Kitzel. Zu Beginn war sie mit ihm vor den anderen immer sehr zurückhaltend gewesen, aber jetzt küsste sie ihn im Moscou vor den Leuten. Dieser Exhibitionismus erregte sie. Und dazu das, was sich bereits mehrmals nachts in dem einsamen Pinienhain abgespielt hatte. Und die Waschungen im Bad. Und die Kühnheiten vor dem Spiegel. Lauter Mittel gegen Skorbut. Ah, jetzt schlug sie wieder ihren kriegerischen Ton an, weil der junge Romanheld sprach. Dieses Liebesleben unter der Glasglocke verdummte sie. Ach, wo war seine lebhafte intelligente Närrin aus Genf nur geblieben!
    »Ruhen Sie sich aus, Liebling, lesen Sie nicht weiter.«
    Er setzte sich ihr gegenüber, machte ein paar belanglose Bemerkungen über den Roman und erkannte sehr bald in den Augen seiner Geliebten dieses entzückende kleine lächelnde Leiden der wohlerzogenen Frauen, die nicht wissen, dass sie sich langweilen. Er schwieg. Gewiss, sie betete ihn immer noch an, doch wie sehr langweilte sich ihr Unterbewusstsein in ihrer wunderbaren Leidenschaft! Er dagegen langweilte sich nicht, weil er einen schrecklichen Zeitvertreib hatte, er beobachtete den langsamen Schiffbruch der Karavelle.
    Er betrachtete sie. O dieses Lächeln, das wie ein Gebiss saß, diese Art, brav, untadelig und leblos dazusitzen, alles in ihr schrie vor tödlicher Langeweile, die sie wahrscheinlich körperliches Unwohlsein oder grundlose Traurigkeit nannte. Sie biss sich auf die Lippe, und er begriff, dass es ein noch rechtzeitig unterdrücktes Gähnen war. Nein, nicht ganz unterdrückt, denn sie gähnte innerlich, das sah man an ihren geblähten Nasenflügeln. Er musste dringend etwas für sie tun, aus Liebe zu ihr. Er blickte sie an, um eine Frage zu provozieren.
    »Woran denken Sie, mein Geliebter?«, sagte sie lächelnd.
    »Ich denke, dass ich mich langweile«, sagte er. (Hinzufügen, mit Ihnen? Nein, nicht der Mühe wert.)
    Sie erblasste. Es war das erste Mal, dass er das sagte. Um seinem Vorhaben den letzten Schliff zu geben, schickte er ein unterdrücktes und dadurch umso vielsagenderes Gähnen hinterher. Woraufhin sie in Schluchzen ausbrach. Er zuckte die Achseln und ging hinaus.
    In seinem Zimmer lächelte er sich vor dem Spiegel zu. Sie war wieder zum Leben erwacht, seine Geliebte. Er hatte in ihren Augen jenes Aufleuchten von Interesse bemerkt, das er seit Tagen vermisst hatte. Wenn er ihr sagte, dass er sie liebe oder dass sie schön sei, lächelte sie ihr Gebisslächeln. Doch dieses Funkeln eben in ihren Augen, das war heiß und echt. Sie lebte wieder, seine Geliebte. Oh, wenn es, um sie glücklich zu machen, genügt hätte, ununterbrochen gut zu ihr zu sein, dann hätte er ihr wie ein tanzender Derwisch von früh bis spät seine Liebe beteuert, und mit welcher Begeisterung hätte er sie mit Zärtlichkeiten überhäuft und sie bedient und selbst ihre Kleider gebürstet und ihre Schuhe geputzt. Aber ständige Zärtlichkeit ist eintönig und wenig männlich, und das lieben sie nicht. Sie brauchen die Wonnen der Abwechslung, die Berg- und Talfahrten der Leidenschaft, die Wechsel von Schmerz zu Freude, Ängste, plötzliches Glück, Warten, Hoffnungen und Verzweiflung, die ganze verdammte Leidenschaft mit ihrem Rattenschwanz von Gefühlsaufwallungen und theatralischen Lebenszielen. Schön, jetzt hatte er ihr ein Lebensziel gegeben. Von nun an würde sie höllisch aufpassen, ihn beobachten und sich fragen, ob er sich nicht mit ihr langweile, was ihr wiederum die Langeweile vertreiben würde. Kurzum, sie würde wieder ihren Platz einnehmen. Und wenn morgen ein hartes körperliches Zupacken einer Zärtlichkeit nach einer Grausamkeit folgen würde, so würde dieses Zupacken lebhaft begrüßt werden. Oh, wie traurig, aus reiner Güte grausam sein zu müssen. Solal, Peiniger wider Willen.
    Er näherte sich der Tür und hörte ihr Schluchzen. Erneut lächelte er. Sie weinte, seine Geliebte, sie hatte einen Zeitvertreib und dachte nicht mehr daran, ein Gähnen zu unterdrücken. Gott sei Dank weinte sie, wusste mehr denn je, wie sehr sie ihn liebte, wusste, dass sie sich nie mit ihm langweilte, sie nie. Auf Zehenspitzen kehrte er in sein Zimmer

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