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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Augen zu schauen und unermüdlich im kleinen Salon zu plaudern. Der Solal von Agay trug bereits die Hörner des Solal von Genf.

***

    In dem Taxi, das sie nach Saint-Raphaël brachte, nahm sie seine Hand und drückte kleine Küsse auf die seidene Manschette. Weil es zu einer Abwechslung geht, dachte er, zu etwas anderem als Liebe, zu einem Gesellschaftsersatz. Da war aber noch etwas anderes und viel Erbärmlicheres. Diese Frau, die wie ein dummes Huhn auf seiner Manschette aus schwerer Seide herumpickte, küsste die Eleganz, folglich den Reichtum, folglich die gesellschaftliche Bedeutung, folglich die Macht. Doch wenn er ihr das sagte, würde sie protestieren und von ihrer Seele reden, und sie würde nie verstehen und zugeben können, dass diese Manschette aus prächtiger Seide für sie zur Seele Solals gehörte. Zu edel und nicht intelligent genug. Gott sei Dank übrigens. Ja, ohne es zu wissen, liebte sie in ihm den gesellschaftlich Mächtigen, den, der reüssiert hatte und noch weit mehr reüssieren würde, dachte ihr Unterbewusstsein, und wie alle unbewusst dahinlebenden Menschen war sie ein Snob und würde nur allzu gern Botschaftersgattin werden. Und das würde später einmal sein Unglück sein. Er zog heftig an der Manschette, die sie geküsst hatte, zerriss sie, lächelte dem lose hängenden Seidenfetzen zu und hielt ihn vor seine Augen.
    »Geliebter, warum?«, fragte sie erschrocken.
    »Ich bin a Jid«, sagte er mit dem Akzent der polnischen Juden. »A groißer Zersteerer bin ich, a groißer Zersteerer.«
    Doch um sie zu beruhigen, küsste er sie auf die Lippen, ein weiteres Mal, noch einmal, und wunderte sich innerlich über diese seltsame zwischen Männern und Frauen so verbreitete Prozedur. Als das Taxi vor dem Chic’ Cinema hielt, bat er den Fahrer, auf sie zu warten, lächelte geheimnisvoll und gratulierte sich dazu, dass er während seiner Untergeneralhanswurstjahre erfolgreich an der Börse spekuliert hatte. Mit seinem Reichtum rächte er sich. Ein Landstreicher, aber ein reicher. Genüsslich ließ er die zerrissene Seide seiner Manschette über den Marmor der Kasse schleifen.
    Sie traten in den kleinen Saal, der nach Schweiß und Knoblauch roch, setzten sich und warteten. Endlich begann das Licht der alten Bogenlampen zu flackern, erstarb und erlosch. Im krachenden Dunkel der ringsum knackenden Erdnüsse nahm sie seine Hand und fragte ihn ganz leise, ob er glücklich sei. Er nickte wie ein Pferd mit dem Kopf, sie schmiegte sich an ihn, und der zweite Film begann. Ein amerikanisches Zuchthaus. Gefangene hinter Gittern. Er beneidete sie um ihre Hierarchien, ihr gesellschaftliches Dasein, ihr sogenanntes Milieu. Verstohlen blickte er seine einzige Gesellschaft an, so rein im Profil, so rührend. Was suchten sie eigentlich in diesem grauenhaften Kino, wo es nach Plebejerfüßen stank? Sie suchten etwas Glück. Und für dieses erbärmliche Glück, in diesem stinkenden Saal zu sitzen, hatten sie ihr Leben verpfuscht. Sie drückte ihm die Hand. Um zu spüren, dass sie mich liebt, dachte er. Ein Druck ohne Leben, eine Höflichkeit. Vorbei das Wunder ihrer herrlichen ineinander verschränkten Hände am Fenster des kleinen Salons, in der ersten Nacht, nach dem Ritz.
    Während des ganzen Films grübelte er über seine Besessenheit nach. Zu lebenslänglicher Leidenschaft verurteilt. Die anderen, die Schlauen, begingen ihre Ehebrüche heimlich. Da gab es Hindernisse, seltene Begegnungen, köstliche Wonnen. Sie, die Törichten, lebendig begraben in ihrer Liebe. Und andere, noch Schlauere, regelten die Dinge auf anständige Weise. Die Frau setzte die Scheidung durch. Und dann heirateten die beiden und wurden von allen geachtet, die gleichwohl über ihre Vergangenheit Bescheid wussten. Sie heiraten? Diese Lösung hatte er bereits verworfen.
    Pause. Die Bogenlampen flackerten erneut und bepinselten die benommenen Zuschauer mit greller Milchfarbe. Man stellte die Augen auf die zurückgekehrte Wirklichkeit ein und erwachte beim Klang der öligen Stimme eines schmachtlockigen Muttchens, das mit eintönigem Singsang Eiscreme weiche Karamellen Pfefferminzbonbons anbot. Die beiden Liebenden hatten ihre Hände gelöst und unterhielten sich über den Film, um das peinliche Schweigen zu überbrücken, redeten gekünstelt, während Solal von einem Gefühl der Erniedrigung überwältigt wurde. Da saßen sie, sprachen leise über den Film, außergewöhnlich, elegant und doch Ausgestoßene in dieser fröhlichen, brüderlich

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