Die Schöne des Herrn (German Edition)
»Danke«, sagte sie, und dieses kleine Danke tat ihm weh.
»Sagen Sie, Geliebter, wie wäre es, wenn wir hinuntergingen? Ich möchte gern mit Ihnen tanzen.«
Aha, aha! Sie hungerte also nach gesellschaftlichem Leben! Wenn sie nur mit ihm tanzen wollte, warum schlug sie ihm dann nicht vor, es hier in ihrem Zimmer zu den Klängen ihres verdammten Grammophons zu tun? Aber nein, sie brauchte andere als ihn! Wollte von anderen gesehen werden und andere sehen! Wie begeistert sie in Genf gewesen war, als er sie gefragt hatte, ob sie mit ihm auf einer einsamen Insel leben wolle! Er widerstand dem Verlangen, es ihr in Erinnerung zu rufen. Nein, sie würde darüber nachdenken und schließlich einsehen, dass er nicht das höchste Glück, die einzige Notwendigkeit und ihr Alles war. Gewisse Wahrheiten soll man lieber für sich behalten.
Zum Tanz hinuntergehen? Für die Leute da unten war der Tanz ein legitimes sexuelles Spiel, Entspannung in einer gesellschaftsbedingten Existenz. Aber was bedeutete ihr und ihm dieses Gehüpfe, nach ihren zahllosen Vereinigungen? Völlig absurd. Und im Übrigen unmöglich. Unten waren die Forbes, die gesellschaftliche Meute. Vorgestern die Episode Forbes. In den zwei Tagen hatte die Rothaarige bestimmt mit einer Menge Leuten gesprochen. Alle waren jetzt im Bilde. Natürlich waren die Leute da unten nur dumm und ordinär. Nur gehobener Mittelstand in diesem Hotel, das er extra ausgesucht hatte, um keinen alten Bekannten zu begegnen. Früher hätte er sich nie mit diesem Pöbel abgegeben. Aber jetzt, wo er es nicht mehr konnte, wurden diese gewöhnlichen Leute plötzlich wichtig und begehrenswert, eine Aristokratie.
Er drehte sich um. Sie wartete ergeben. Sie wartete mit Ansprüchen. Ich tue alles, was du willst, aber ich will Glück. Also los, bereite mir ein Fest, sei erfinderisch, beweis mir, dass ich mein Leben nicht verpfuscht habe, als ich mich in diese Liebe gestürzt habe.
Was konnte er ihr bieten, um sie nicht dahinwelken zu sehen? Womit beschäftigte er nun schon seit Wochen einen Geist, der höherer Aufgaben würdig war? Damit zu verhindern, dass sie sich langweilte oder vielmehr sich dessen bewusst wurde. Was konnte er ihr heute bieten? Noch einmal Cannes, neue Kleider und all die anderen Ersatzdinge? Davon würde sie bald genug haben. Schließlich ging nichts über einen idiotischen Plausch mit einer Forbes. Sollte er noch einmal den Trick von neulich benutzen und ihr sagen, dass er sich langweilte? Er hatte nicht das Herz, sie weinen zu sehen.
»Geliebter, woran denken Sie?«
»An den Versailler Vertrag.«
»Oh, Verzeihung.«
Er biss sich auf die Lippe. Wie respektvoll sie ihn angeblickt hatte! Diese Idiotin hielt ihn tatsächlich für fähig, an einen solchen Blödsinn zu denken, und brachte ihm auch noch Respekt entgegen! Und warum dieser Respekt? Weil dieser irgendwelchen minderbemittelten Gehirnen entsprungene Vertrag gesellschaftliche Bedeutung hatte und weil sie ihn immer noch für den Untergeneralhanswursten hielt. Die arme ehrliche Protestantin hatte ihm sofort geglaubt, als er ihr erzählt hatte, er habe achtzehn Monate Urlaub genommen, was wahrscheinlicher als ein Jahr klang.
Diese Musik da unten, die zur Feier einer brüderlichen Gemeinschaft ertönte, war unerträglich. Am ersten Abend in Agay hätte sie dieser Musik keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt! Gewiss, ihr armes treues Bewusstsein vergötterte den Geliebten, wollte nur ihn, erwartete nichts als ihn, doch ihr Unterbewusstsein sehnte sie sich nach dem Tamtam des Stammesfestes. Die Arme erstickte, ohne es zu wissen, erstickte in ihrem Gefängnis der Liebe. Sie plötzlich nehmen, als wolle er sie vergewaltigen? Das würde ihr vielleicht gefallen. O klägliches Abenteuer, o Schande! O die Zeiten von Genf, die Ungeduld, sich zu sehen, die Freude zusammen zu sein und allein! Grauenhaftes Gelächter der dort unten Aneinanderklebenden, Gelächter, das zu ihnen hinaufstieg und dem sie lauschte, schreckliches Gelächter, das ihnen ihre Einsamkeit so deutlich machte. Schnell einen Ersatz!
»Liebling, gehen wir ins Kino.«
»O ja!«, rief sie. »Aber machen Sie bitte die Augen zu, ich will mich schnell anziehen.«
Er machte die Augen zu, da die Schamhaftigkeit auf der Tagesordnung stand. Geliebte, so voller guten Willens, augenblicklich begeistert. Ja, aber in Genf wäre sie entrüstet gewesen, wenn er ihr einen Kinobesuch vorgeschlagen hätte, anstatt köstlich zusammenzubleiben, Küsse auszutauschen, sich in die
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