Die Schöne des Herrn (German Edition)
schwatzenden, selbstsicheren und eiscremeschleckenden Menge. Er bemerkte, dass er mit verschämt leiser Stimme sprach, wie ein Ghettojude, der auf keinen Fall auffallen möchte. Auch sie war demütig geworden, flüsterte wie er, und er begriff, dass die Unglückliche sich unbewusst ihrer Ausgestoßenheit gewahr geworden war.
Daraufhin wechselte er von der Demut zur Überheblichkeit, sprach übertrieben laut, winkte das Muttchen mit den Süßigkeiten heran, kaufte eine Tüte und hielt sie Ariane hin, die lächelte, dankte, ein Pfefferminzbonbon nahm und in den Mund steckte, nachdem sie es ausgewickelt hatte. So weit war es also mit ihnen gekommen nach dem verliebten Tanzen im Ritz, so weit war es mit ihnen gekommen nach der Überschwenglichkeit ihrer ersten Nacht, so weit war es mit ihnen gekommen, dass er jetzt schweren Herzens ganz banal Pfefferminzbonbons in einem dreckigen kleinen Kino lutschte, trübselig Bonbons lutschte und zuhörte, wie die sich drehende schöne Närrin von einst furchtsam ihre Meinung über einen schlechten Film äußerte, sich unbehaglich fühlte, seine Geliebte, seine krankhaft unbeholfene Geliebte, es sich aber nicht eingestehen wollte. Jetzt Eiscreme kaufen, um sie gemeinsam zu lutschen, um sich auf schaurige Weise daran zu ergötzen, noch tiefer zu sinken.
Nachdem es wieder dunkel geworden war, begann im proletarischen Duft geschälter Orangen die zweite Vorstellung. Sie nahm wieder zärtlich seine Hand, und die Wochenschau zog vorüber. Spiritualistische Dromedare schritten hochnäsig durch eine Straße Kairos, verschwanden hinter dem Sanitätsposten in der Friedrichstraße, die sich zu einer Feuersbrunst erweiterte, in dem eine kalifornische Fabrik aufloderte, die jedoch schon bald von einem Pariser Regen gelöscht wurde, unter dem die Sportler des Intransigeant um die Wette liefen, und der Sieger keuchte, lächelte unaufhörlich, wusste nichts mit seinen Händen anzufangen, trank den Champagner, den ein gönnerhafter Reporter ihm reichte, und Hitler bellte, und in Rio de Janeiro erklommen lachende schwarze Bettler auf Knien die Stufen einer Barockkirche, gefolgt von der Phase eines Fußballspiels in Zeitlupe, in der die Stürmer den Ball in eine unwirkliche Welt ohne Schwerkraft kickten, in der jede kraftvolle Bewegung träge in die Länge gezogen wurde und ihn unendlich lang mit einer sehr langsamen plastischen Deutlichkeit schleuderte, und Miss Arkansas war entsetzlich nervös bei dem Gedanken, dass ihr nur noch sechs Sekunden blieben, um der Jury zu gefallen, und machte einen tragischen Versuch, verführerisch zu wirken, wurde jedoch von zwei zerschmetterten kanadischen Lokomotiven abgelöst, und der Sultan von Marokko stieg auf die Laufplanke des Schiffs, um Marschall Lyautey zu empfangen, und krempelte sein Gewand etwas hoch, hinter dem Mussolini, die Fäuste in die Hüften gestemmt und das Kinn bis zur Stirn hochgereckt, der Welt trotzte, und Autos brausten im Kreis einer Rennbahn herum, an deren Kurve sich ein paar Buben in schwarzen Kitteln der Schokoladenfabrik Menier zusammendrängten, und die Mannschaft von Oxford schlug die von Cambridge, und Marschall Pilsudski verneigte seinen Walrossbart vor einer hochaufgeschossenen Königin von Rumänien, und ein französischer Minister steckte einen Orden auf ein Samtkissen und kläffte anschließend gereizt seine Rede unter einem Regenschirm, und auch er, auch er war einmal Minister gewesen, und jetzt saß er hier und lutschte Pfefferminzbonbons.
Dann kam der erste große Film. Sie hielten sich wieder bei den Händen, zwei Ertrinkende, die sich aneinanderklammern, dachte er, und wohnten der Zurschaustellung des Fleisches einer jungen Filmdiva mit animalisch schwülstigen Lippen von hottentottischer Dicke, Saugnapf eines Riesenbandwurms oder Maul eines Seeungeheuers, bei, deren Talent in ihren enormen Brüsten bestand, diesen zehn Kilo Fett, deren ununterbrochenes Vorzeigen ihr Weltruhm eingebracht hatte. Nach einigen Minuten stand er auf, und sie gingen hinaus, während die kleine Sau gerade ihren dicken Hintern, ihr zweites Talent, zeigte.
»Wir werden im Hotel tanzen«, sagte er zu ihr, als sie im Taxi saßen.
Sie schmiegte sich an ihn. Wie im Ritz, wie an ihrem ersten Abend, dachte sie, ergriff erneut seine Hand und führte sie an ihre Lippen, während er wieder an den Fluch dachte, immer zusammen sein zu müssen und nichts anderes zu tun zu haben, als sich zu lieben. Weggehen und sie nur noch einmal in der Woche sehen, um
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