Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
Vom Netzwerk:
»Für eine durchtriebene kleine Hure.«
    »Das ist nicht wahr!«, schrie sie und sprang zitternd auf. »Ich verbiete dir, mir so etwas zu sagen!«
    »Ach, bildest du dir wirklich ein, du wärst eine anständige Frau?«
    »Allerdings! Und das weißt du sehr gut! Meine schreckliche Ehe hatte mich ganz durcheinandergebracht. (Aha, jetzt packt die Spinne zu, dachte er bei sich.) Ich bin eine anständige Frau!«
    »Entschuldige, aber … (Er täuschte ein höfliches Zögern vor.) aber ab und zu bist du zu deinem Mann zurückgekehrt, noch ein bisschen … (Er tat, als suche er nach einem höflichen Adjektiv) ein bisschen feucht von diesem Herrn Dietsch, und, also, ich finde, dass das nicht gerade sehr anständig war.«
    »Es war nicht recht von mir, dass ich es ihm nicht gestanden habe, aber ich hatte Angst, ihm Kummer zu bereiten. Das ist mein einziges Unrecht. Wegen allem anderen brauche ich nicht zu erröten. Mein Mann war ein armer Kerl. Ich bin einem Mann begegnet, der eine Seele hatte, ja, eine Seele!«
    »Wie viele Zentimeter lang?«
    Sie blickte ihn verblüfft an, bis sie endlich begriff.
    »Du bist widerlich!«
    Er klatschte in die Hände und blickte zum Himmel, um ihn als Zeugen anzurufen. Das war wirklich der Gipfel! Sie hatte es drei- oder vielleicht viermal in einer Nacht mit ihrem Dirigenten getrieben, sich in aller Inbrunst hingegeben, und er war widerlich! Da konnte man sich doch vor Scham nur noch das Gesicht verhüllen.
    Um sich das Gesicht zu verhüllen, zog er ein Laken vom Bett und bedeckte sich damit. Derart in sein weißes Leichentuch gehüllt, wanderte er durchs Zimmer. Während sie mit dem Blick dem Gespenst auf seinem Rundgang folgte, befahl sie sich, nicht zu lachen, und sagte sich ernsthafte Worte vor. Die Lage ist sehr ernst, mein Leben wird sich jetzt entscheiden, sagte sie sich. Endlich befreite er sich von seinem Leichentuch und zündete sich eine Zigarette an. Ihr war nun nicht mehr zum Lachen zumute. Ja, jetzt entschied sich ihr Schicksal.
    »Liebster, hör doch, das ist alles tot und begraben.«
    »Es ist sehr lebendig«, sagte er. »Dietsch wird immer zwischen dir und mir sein. Und sogar auf dir. Auch in diesem Augenblick ist er da. Ständig besorgt er es dir. Ich kann nicht mehr mit dir leben. Geh! Verlass dieses Haus!«

XCIX

    Nein, unmöglich, allein zu bleiben, er brauchte sie, musste sie sehen. Wenn sie ihm nur ein Lächeln schenkte, dann wäre alles vorbei, alles wieder gut. Er ging ins Vestibül hinaus, beklopfte seine Brust, fuhr sich durchs Haar, wetzte seine Nase und fasste einen Entschluss. Um das Gesicht zu wahren, klopfte er nicht an, sondern trat als Herr und Meister ein. Ohne aufzublicken fuhr sie fort, Kleidungsstücke in den offenen Koffer auf dem Bett zu packen, wobei sie jedes Stück behutsam zusammenfaltete, ganz in ihre Arbeit vertieft, mit steinernem Gesicht. Sie war glücklich, ihn leiden zu lassen. So würde er sehen, dass sie ihn endgültig verließ. Um ihr nicht zu zeigen, wie sehr er sie brauchte, und ihr seine Gleichgültigkeit zu beweisen, schlug er einen ironischen Ton an.
    »Also Abschied auf ewig?«
    Sie nickte und packte weiter sorgfältig ihre Sachen ein. Um sie leiden zu lassen und ihr zu zeigen, dass er wirklich damit rechnete, dass sie fortgehen würde, spielte er den Hilfsbereiten und reichte ihr ein Kleid aus dem Schrank.
    »Das genügt, mein Koffer ist beinahe voll«, sagte sie, als er ihr ein weiteres Kleid reichte. »Ich nehme nicht alles mit. Ich werde schreiben, wohin die übrigen Sachen geschickt werden sollen.«
    »Ich werde dir Geld geben.«
    »Nein danke. Ich habe alles, was ich brauche.«
    »Welchen Zug nimmst du?«
    »Irgendeinen. Den ersten, der fährt.«
    »Es ist fast drei Uhr morgens. Der erste, der nach Marseille fährt, kommt erst um sieben.«
    »Ich werde auf dem Bahnhof warten.«
    Mit zusammengezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn stopfte sie Schuhe in eine Ecke des Koffers.
    »Der Mistral bläst. Es wird kalt sein im Wartesaal. Vergiss nicht, einen Mantel mitzunehmen.«
    »Es ist mir egal, ob ich friere. Eine Lungenentzündung wäre auch eine Lösung.«
    In eine andere Ecke des Koffers zwängte sie das Album mit den Familienfotos. Er pfiff vor sich hin.
    »Ich nehme an, du fährst nach Genf. Wirst du Symphoniekonzerte besuchen?«
    Sie drehte sich zu ihm um, feindselig, mit geballten Fäusten.
    »Du hast mich betrogen, als du mir sagtest, alles würde wieder gut sein, wenn ich dir alles erzähle. Ich hatte dir vertraut, ich

Weitere Kostenlose Bücher