Die Schöne des Herrn (German Edition)
gehöre nicht zu denen, die immer gleich Hinterlist wittern.«
Natürlich, sie hatte recht. Sie war ehrlich, das musste man ihr lassen. Ja, aber dieser ehrliche Mund hatte eine behaarte Männerbrust geküsst.
»Du hättest besser daran getan, nicht mit deinem Dirigenten fliegende Trapezwechsel zu machen drei Stunden, bevor du zu mir kommst und mir die Hand küsst!«
Er keuchte. Es war unerträglich, diese zärtlichste, edelste aller Frauen, mit einem so reinen Gesicht, unablässig und unbegreiflicherweise unter einem dirigierenden Schimpansen zu sehen, unablässig stöhnend unter diesem Schimpansen. Ja, die liebste und zärtlichste. Welche Frau hatte ihn je so sehr wie diese Frau geliebt? So rein an dem Abend im Ritz, als sie ihm die Hand geküsst hatte. Und anschließend bei ihr zu Hause, so jung und naiv an ihrem Klavier, so ernst vor lauter Liebe. Und ein paar Stunden zuvor unter dem Schimpansen!
»Du solltest dich schämen, mir so etwas zu sagen! Welches Unrecht habe ich dir getan? Das war, bevor ich dich kannte.«
»Komm, schließ den Koffer.«
»Es macht dir also gar nichts aus, mich ganz allein in die Nacht und in die Kälte hinauszuschicken?«
»Natürlich ist es traurig. Aber was willst du, wir können nicht mehr miteinander leben. Da, nimm deinen Mantel.«
Er gratulierte sich zu seiner Antwort. Ein gemäßigter Ton war überzeugender, bestätigte die Endgültigkeit der Trennung. Sie weinte, schnäuzte sich. Sehr gut. Wie auch immer, in diesem Augenblick zog sie ihn sicherlich Dietsch vor. Nachdem der Koffer zu war, schnäuzte sich noch einmal und drehte sich zu ihm.
»Ist dir eigentlich klar, dass ich niemanden auf der Welt habe?«
»Halt dich doch am Stab deines Dirigenten fest. (Oh, wenn sie jetzt zu ihm käme, wenn sie ihm die Hand reichen würde, dann würde er sie an sich drücken, und alles wäre gut. Warum kam sie nicht?) Ach, bin ich etwa vulgär?«
»Ich habe nichts gesagt.«
»Du hast es gedacht! Für dich besteht Vornehmheit darin, hochfeine Worte zu gebrauchen und gewisse andere nicht, weil sie schmutzig sind, aber so oft wie möglich exakt das zu tun, was diese schmutzigen Worte bezeichnen. Ich habe nur gesagt, halt dich am Stab deines Dirigenten fest, und schon bin ich vulgär, jede deiner Wimpern schreit es mir ins Gesicht! Aber du, die Edle und Vornehme, was hast du heimlich mit diesem Dietsch hinter verschlossenen Türen getrieben, während dein armer Mann dich voller Liebe und Vertrauen zu Hause erwartete?«
»Wenn es unrecht ist, was ich mit D. getan habe …«
Er lachte amüsiert, gequält auf. Wie schamhaft, wie anständig! Sie hatte ja nur mit einem Anfangsbuchstaben geschlafen, sie betrog ihn nur mit einem Anfangsbuchstaben!
»Ja, ich habe verstanden, wenn es unrecht ist, was du mit deinem Dietsch getan hast, dann ist es auch unrecht, was du mit mir tust. Als ob ich das nicht wüsste! Aber für dieses Unrecht muss ich teuer bezahlen!«
»Was willst du damit sagen?«
Ja, er zumindest büßte für den Ehebruch in der Hölle der einsamen Liebe, einer Hölle, in der er schon dreizehn Monate, vierundzwanzig Stunden täglich, schmorte, mit der Angst, sie könnte ihn von Tag zu Tag weniger lieben. Während dieser Glückspilz von Dirigent die Wonnen seltener Begegnungen genossen hatte, ein immerwährendes Fest, das durch die Gegenwart des lästigen Gehörnten noch zusätzliche Würze erhalten hatte.
»Was willst du damit sagen?«, wiederholte sie.
Ihr ins Gesicht schreien, dass sie heute zum ersten Mal von dem Vitaminmangel befreit waren, dass es endlich wieder interessant war, zusammen zu sein? Doch was blieb ihr dann, dieser Unglücklichen? Nein, diese Demütigung musste er ihr ersparen.
»Ich weiß nicht, was ich sagen wollte.«
»Gut. Dann wäre ich dir jetzt dankbar, wenn du mich allein ließest. Ich muss mich anziehen.«
»Genierst du dich, dir vor dem Nachfolger des Dirigenten einen Rock anzuziehen?«, fragte er ohne Überzeugung, ganz automatisch, ohne dass es ihm weh tat, denn er war müde.
»Ich bitte dich, lass mich allein.«
Er ging hinaus. Im Vestibül überfiel ihn Unruhe. Würde sie es tatsächlich fertigbringen, ihn zu verlassen? Sie erschien mit ihrem Koffer in einem eleganten grauen Kostüm, seinem Lieblingskostüm, und sie hatte Puder aufgelegt. Wie schön sie war. Sie ging langsam zur Tür und öffnete sie langsam.
»Leb wohl«, sagte sie und warf ihm einen letzten Blick zu.
»Es tut mir weh, dich um drei Uhr morgens fortgehen zu sehen. Was willst
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