Die Schöne des Herrn (German Edition)
schon, nicht wahr, wer? (Sie fand ihn bezaubernd, so jung noch, so zärtlich, wenn auch ein wenig verstört.) Er ist diese ganze Geheimniskrämerei doch gar nicht wert. Ich sehe ja ein, dass es nichts bedeutet hat mit diesem Dirigenten. Und schließlich hast du ja sofort mit ihm gebrochen. (Er brachte erneut ihr Haar in Ordnung.) Im Grunde eilt es gar nicht so, der Gedanke, dass du mir früher oder später alles sagen wirst, hat mich beruhigt. Siehst du, ich bin schon viel ruhiger. Wenn du es mir heute Abend nicht sagen willst, erzählst du es mir eben, wann du willst, morgen, übermorgen, in zehn Tagen.«
»Bringen wir es lieber gleich hinter uns«, sagte sie.
Freudig erregt gab er ihr einen freundschaftlichen Kuss, schon ganz gespannt auf die Geschichte, die sie ihm erzählen würde. Wie ein Kind im Zirkus, das auf den Auftritt des Clowns wartet. Rührend besorgt brachte er ihr einen zweiten, wärmeren Mantel, aus Vikunjawolle, legte ihn ihr über die Knie und erbot sich, noch einmal Tee zu machen. Er war voller Rücksicht und behandelte sie wie eine schwangere Frau oder ein zum Schaffen bereites Genie, das man nicht brüskieren darf. Er schaltete den Kronleuchter aus, knipste die Nachttischlampe an und bot ihr sogar an, sich aufs Bett zu legen, was sie ablehnte.
»Frag mich, das ist mir lieber«, sagte sie und nahm seine Hand.
»Wie hast du ihn kennengelernt?«
»Durch Alix de Boygne, eine Freundin, die einzige, die mir geblieben war, eine nicht mehr ganz junge Frau. (Auftritt der Kupplerin, dachte er bei sich.) Sie ist immer sehr nett zu mir gewesen.«
»Erzähl mir von ihr«, bat er, geflissentlich um Anteilnahme bemüht.
»Sie ist eine Frau aus der guten Gesellschaft, aber sie hat früher einmal jemanden in ihrem Leben gehabt, einen verheirateten Mann, dessen Frau sich nicht scheiden lassen wollte, und das hat damals in Genf einigen Staub aufgewirbelt. Aber das ist lange her und inzwischen vergessen. (Die Scheinheiligkeit dieses »jemand in ihrem Leben« machte ihn rasend, und er hasste die lüsterne alte Vettel. Er beherrschte sich jedoch und verzog verständnisvoll die Nase.) Sie ist sehr großzügig, sehr offen in ihren Ansichten. (Und in anderen Dingen auch, dachte er bei sich.) Sie interessierte sich sehr für Kunst, unterstützte ein Kammerorchester, empfing junge Musiker in ihrem Landhaus. (Begierig auf frisches Fleisch, dachte er bei sich.) Sie nahm es den Leuten aus unseren Kreisen übel, dass sie mich nicht mehr sehen wollten. Sie hat sich meiner sehr angenommen und mich verwöhnt.«
Sie schniefte, schnäuzte sich.
»Dick?«
»Ein bisschen«, gab sie verlegen zu. (Er lächelte, hochbeglückt über die Fettleibigkeit.) »Aber sehr elegant. (Dank eines Stahlkorsetts, dachte er, und das Zimmermädchen wird stark an den Bändern gezogen haben, um sie zu schnüren.) Und sehr gebildet auch.«
»In Genf hast du mir nie von ihr erzählt.«
»Weil ich keinen Kontakt mehr hatte. Sie hat Genf verlassen, kurz bevor ich Sie kennenlernte. Sie ist nach Kenia gegangen, zu ihrer verheirateten Schwester.« (Und um es mit den Negern zu treiben, dachte er bei sich.)
»Dann hast du diesen Herrn also bei ihr getroffen?«
»Ja«, erwiderte sie mit einem zurückhaltenden Kopfnicken.
Diese anständige und konventionelle Geste ärgerte ihn, aber er zeigte sich verständnisvoll. Natürlich, sie konnte bei der Erwähnung dieses Kerls ja nicht gut eine laszive Miene aufsetzen.
»Wie alt war er?«, fragte er, nicht ohne innere Erregung.
»Fünfundfünfzig.«
Er lächelte in sich hinein. Dann also etwa sechsundfünfzig jetzt. Sehr gut. In vier Jahren sechzig. Recht so.
»Groß?«
»Weder groß noch klein, mittel.«
»Mittel wie? Mittelgroß oder mittelklein?«
»Eher unter dem Durchschnitt. (Er lächelte wohlwollend. Dieser Dietsch wurde ihm fast sympathisch.) Bitte, lassen wir das jetzt, ja?«
»Nein, beschreib ihn genauer.«
»Macht es das nicht schlimmer?«
»Im Gegenteil, Liebling. Ich habe es dir doch erklärt. Die Haare zum Beispiel.«
»Weiß und zurückgekämmt«, sagte sie und blickte auf ihre Sandalen. (Er fasste sie an den Knien, drückte sie zärtlich.) »So, es reicht jetzt, bitte.«
»Und der Schnurrbart? Auch weiß?«
»Nein.«
»Schwarz?«
»Ja.«
Er ließ ihre Knie los, besann sich und drückte sie erneut. Er traute sich nicht, nach weiteren Einzelheiten zu fragen. Dieser Dietsch war imstande, schlank und gut gewachsen zu sein. Lieber beim Kopf bleiben. Nicht kahlköpfig, leider. Aber
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