Die Schöne des Herrn (German Edition)
du mir glauben, ein Rat sieht schon nach was anderem aus als ein einfacher A, die haben Büros mit zwei Fenstern, und mit zwei Fenstern ist man jemand, ja, nicht als A verschimmeln, zum Rat avancieren, und zwar schnell.«
Er hob den Kopf, schaute sich vage um, knabberte an einem Keks, um den plötzlichen Gedanken an seinen Tod zu verscheuchen, und blickte auf die Uhr. Elf Uhr fünfzig. Noch vierzig Minuten totzuschlagen. Ins Sanitätszimmer gehen und sich den Blutdruck messen lassen? Nein, eher ein kleiner Spaziergang in der Wandelhalle. Heute versammelte sich die Sechste, eine sehr politische Kommission mit vielen wichtigen Leuten.
»Komm, mein Schatz, wir werden Bekanntschaften machen.«
XI
In der Wandelhalle liefen Minister und Diplomaten umher, diskutierten mit ernsthafter Miene, und blickten kompetent drein, überzeugt von der Bedeutung ihrer flüchtigen, schnell vergessenen Ameisengeschäftigkeit, überzeugt auch von ihrer eigenen Bedeutung, tauschten tiefsinnig nutzlose Ansichten aus und stolzierten komisch feierlich und imposant einher, gefolgt von ihren Hämorrhoiden, und dann lächelten sie plötzlich und spielten die Liebenswürdigen. Von Machtverhältnissen diktierte Höflichkeit, Perückenlächeln, Freundlichkeiten und grausame Falten um die Mundwinkel, durch edle Gesten getarnter Ehrgeiz, Berechnungen und Machenschaften, Schmeicheleien und Misstrauen, komplizenhaftes Einverständnis und Komplotte all dieser Sterbenden von morgen.
Der erste schwedische Delegierte verneigte sich traurig wie ein hoher Drehkran vor Lady Cheyne, die ätherisch eine Tasse Tee trank und dann mit schlaksiger Eleganz ihre langen elastischen ockerfarbenen Arme sinken ließ. Lord Robert Cecil, lächelnd und leicht fröstelnd, mit großen, vornehm degenerierten Ohren und gekrümmtem Rücken, hochragender buckliger Geier und romantischer Schauspieler mit heruntergeschlagenem abknöpfbarem Kragen, erklärte einem kleinen radikalen und schmerbäuchigen französischen Ministerpräsidenten, der zwar kein Wort davon verstand, sich im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen aber sehr interessiert zeigte, einen außergewöhnlichen Golfschlag. Der junge Marquis of Chester lächelte gutmütig schüchtern und stotterte schamhaft wohlerzogene Empfehlungen,
if I may say so,
zu Benesch, der, um sich liebenswürdig zu zeigen und die Anleihe nicht zu gefährden, seine allzu ebenmäßigen Zähne aufblitzen ließ. Fridtjof Nansen, ein hohes, alle überragendes Ross, pflichtete dem Sonderkorrespondenten der
Times
bei, indem er heftig mit seinem Kopf, den ein langer Hängeschnurrbart zierte, nickte, um seinen Mangel an Aufmerksamkeit zu kaschieren. Lady Cheyne teilte gerecht Höflichkeiten aus, die sie je nach der Bedeutung des Gesprächspartners abstufte, und lächelte mit den beiden Falten ihres herablassenden Reichtums, von den Nasenlöchern bis zu den Mundwinkeln. Untergebene lauschten Vorgesetzten mit hingerissenem Eifer. Ein launischer Außenminister mit Spitzbart sagte immer wieder, das sei nicht hinnehmbar und sein Land werde niemals zustimmen. Ein Maharadscha mit goldenem Turban, aschgrauen Händen und blutunterlaufenen Augen träumte vor sich hin. Eine amerikanische Journalistin, eine kompetente Neunmalkluge in internationalen Angelegenheiten, interviewte einen Außenminister, der ihr anvertraute, dieses Jahr werde entscheidend sein und einen Wendepunkt in der internationalen Politik markieren. Die bulgarische Delegierte, eine fette Bajadere mit dicker Hornbrille, klirrenden Armbändern und Kameen, Dichterin und vor dreißig Jahren Verführerin eines jungen schüchternen Königs, strömte ein widerliches Parfum aus, zitierte Bergson und redete mit wallendem Busen auf den griechischen Delegierten ein, den sie am Knopf seiner Jacke festhielt, um ihn besser überzeugen zu können. Die schöne Sekretärin des Generalsekretärs streckte ihre sonnenverbrannte Nase in die Luft und verbreitete den Duft von blühenden Birnbäumen. Seidige und polyglotte junge Wölfe lachten verwegen. Die hygienische und nach Seife riechende dänische Delegierte mit ihrem an der Bluse hängenden Lorgnon lauschte jungfräulich und sittsam einem Ministerpräsidenten, der zuerst verspätet auf eifrige Begrüßungen antwortete und ihr dann erklärte, dieses Jahr werde entscheidend sein und einen Wendepunkt in der internationalen Politik markieren, was ein die Ohren spitzender Journalist sich rasch notierte. Der stellvertretende Generalsekretär schloss ein Auge und
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