Die Schöne des Herrn (German Edition)
blies die Backen auf, um besser den verborgenen Sinn der höflichen Phrasen Titulescos, eines bartlosen Haremswächters, zu ergründen. Benedetti, der Leiter der Informationsabteilung, wiederholte, um einen kameradschaftlichen Ton bemüht, seine Anweisungen seinem einarmigen Stellvertreter, den von weitem seine eifersüchtige Sekretärin beobachtete, die seit Jahren darauf wartete, dass er sie heiratete. Der fast weiße Delegierte von Haiti lief allein umher und kraulte traurig sein wolliges Haar. Der Vorstadtfaun Albert Thomas bewegte eine lange rote Zunge im Gestrüpp seines Popenbartes, während seine Brillengläser schelmisch blitzten. Die bulgarische Delegierte kam und ging, klirrte und klapperte leidenschaftlich, und eine Wolke von Chypre folgte ihrem ehrfurchtgebietenden Hinterteil, doch plötzlich stürzte sie sich auf die soeben erschienene und bereits ermattende Anna de Noailles und küsste sie unter lautem Gebrüll. Ein luxemburgischer Minister, der es nicht fassen konnte, dass man ihn nicht ernst nahm, genoss, die Hand hinter der Ohrmuschel, in vollen Zügen die Bemerkungen des deutschen Delegierten, der mit nervösem Zucken seine schrecklichen Eckzähne entblößte. Zwei Feinde gingen Arm in Arm auf und ab und betasteten sich gegenseitig die Armmuskeln. Der polnische Außenminister, ein schwindsüchtiger Kondor, nahm wütend die Glückwünsche des liberianischen Delegierten entgegen. Der gutherzige Spaak glaubte an die Treue eines lächelnden, unaufhörlich zustimmenden belgischen Gesandten. Bucklig auf einem Stuhl hockend, den erloschenen Zigarettenstummel auf der hängenden Unterlippe, teilte Aristide Briand einem vor Dankbarkeit strahlenden Chefredakteur mit, dieses Jahr werde entscheidend sein und einen Wendepunkt in der internationalen Politik markieren, dann erhob er die toten Augen und rief mit weich gekrümmtem Zeigefinger einen Botschaftssekretär herbei, der zitternd vor Glück auf Zehenspitzen und mit der Anmut einer wunschlos glücklichen Ballerina zu ihm eilte, sich über ihn beugte, ihm liebevoll das Ohr bot und den vertraulichen Befehl genussvoll auskostete. Eine lange Zigarette im Mund, wohlig in seinem Gänseleber-Fauteuil versunken, sann Volpi, der neue Vorsitzende der ständigen Mandatskommission, auf ein Manöver, das ihm das Ordensband des Grand Officier einbringen würde.
Adrien Deume trat ein, klein und bescheiden, und blickte sich nach wichtigen Leuten um, die er kannte. Als er Marquis Volpi erspähte, blieb er stehen und verzog die Lippen, um besser nachdenken zu können. Immerhin hatte er ihm bei der letzten Sitzung Dokumente überreicht und ihm sogar einen Punkt der Prozessordnung erklärt, wofür er ihm lebhaft gedankt hatte. Die Gelegenheit war günstig, zumal der Herr Vorsitzende allein saß und rauchte. Also wie zufällig vorbeigehen, und ihn respektvoll grüßen, was vielleicht zu einem Gespräch führen würde, zur möglichen Aufnahme persönlicher Beziehungen. Irgendwie versuchen, das Gespräch auf Leonardo da Vinci oder Michelangelo zu bringen. Er knöpfte seine Jacke zu und pirschte sich an das Großwild heran, ohne sich anmerken zu lassen, dass er ihn bereits gesehen hatte, damit die Begegnung ganz zufällig und nicht vorsätzlich geplant erschien. In Blickweite seiner Beute gab er sich einen mondänen Ausdruck freudiger Überraschung, lächelte, verneigte sich tief und hielt die Rechte grußbereit. Da Marquis Volpi ihn ansah, ohne seinen Gruß zu erwidern, blickte der junge Beamte rasch woanders hin, tat, als habe er über einen bezaubernden Gedanken gelächelt, und machte sich davon.
Nachdem er sich ans andere Ende des Saals geflüchtet hatte, lehnte Adrien Deume, die Hände auf dem Rücken, demütig und melancholisch an der Wand, wartete auf einen guten Fang, beobachtete das politische Kommen und Gehen, fasziniert von all diesen begehrenswerten angeregt diskutierenden einflussreichen Persönlichkeiten, die durch einen einzigen Sir John ins Ohr geflüsterten Satz wie durch Zauber ein Mitglied der Abteilung A in einen Rat verwandeln konnten, brachte ihnen von weitem seine Achtung entgegen und liebte sie sogar schmerzlich, schmachtender Bettelknabe, winziger und verachteter Schwärmer, der von seinem kleinen Winkel aus den Duft der großen Welt der Macht genoss, an der er nicht teilhatte, Luxushotels, Repräsentationsspesen, Lagebesprechungen und Meinungsaustausche. Einsam und schmächtig an seiner Wand lehnend, quälte es ihn, keine dieser hohen Persönlichkeiten
Weitere Kostenlose Bücher