Die Schöne des Herrn (German Edition)
zu kennen, die so greifbar nah und ihm doch so entrückt waren. Wie gern hätte er Hände geschüttelt,
hello how are you, nice to see you,
gesagt, mit diesen Königen des Lebens geplaudert, mit geistreichen und ernsthaften Antworten geglänzt und sich vor allem von einem dieser Bedeutenden kräftig auf die Schulter klopfen lassen. Doch leider kannte er niemanden, nicht einen einzigen Delegierten, der ihn hätte vorstellen können, nicht einmal einen technischen Ratgeber als Lückenbüßer. Einfach frech zu Spaak gehen und sich selbst vorstellen, schließlich war er doch sein Landsmann? Er dachte die ganze Zeit daran, traute sich aber nicht.
Nach langem stets enttäuschtem Hoffen, ohne dass ein Angesehener ihn erkannt oder auch nur eines Blickes gewürdigt hätte, verließ er seinen Angelplatz, streifte suchenden Auges umher, fand jedoch niemanden, den er hätte ködern können. Die großen Fische, die unbekannten Minister und Gesandten, waren zu groß für ihn. Das übrige Volk, in einer Ecke, war vollkommen uninteressant, kleine Weißfische, Dolmetscher, Sekretärinnen, Journalisten, die sich kameradschaftlich witzelnd gegenseitig auf den Rücken klopften und sich wichtig vorkamen, weil sie drei Stunden vor dem breiten Publikum falsche Informationen bekamen. Der Korrespondent einer jüdischen Telegrafenagentur stand einsam und ignoriert da, lächelte dem jungen Beamten mit der Zärtlichkeit der Ausgegrenzten zu und streckte ihm die Hand entgegen. Ohne stehenzubleiben, hielt Adrien ihn mit einem eiligen »Guten Tag« auf Distanz und beschleunigte den Schritt.
An eine andere Wand gelehnt Ausschau haltend, sah er, wie der Generalsekretär scherzend und jovial mit dem japanischen Gesandten, einem alten verhutzelten Knaben mit goldgeränderter Brille, aus dem Ratssaal trat, wobei er dessen Armmuskel als Zeichen aufrichtiger Freundschaft betastete. Plötzlich brach er in Schweiß aus, überzeugt, Sir John Cheyne habe die Stirn gerunzelt, als er seinem Blick begegnete. Zutiefst erschrocken, an diesem erhabenen Ort, wo er nicht hingehörte, müßig herumstehend entdeckt worden zu sein, machte er kehrt und ging mit gewollt entschlossenen und ehrlichen, bescheidenen und über jeden Vorwurf erhabenen diensteifrigen Schritten dem Ausgang zu. Er gelangte heil und unversehrt auf den Flur und beeilte sich, in die süße Zuflucht seines Käfigs zurückzukehren.
XII
Hier sind sie, die Tapferen, die fünf Cousins und ausgekochten Freunde, gerade in Genf angekommen, hier sind sie, die großen Redner, Juden der Sonne und der schönen Sprache, stolz, in ihrem Ghetto der griechischen Insel Kephalonia französische Staatsbürger geblieben zu sein, treu dem edlen Land und der alten Sprache.
Hier ist Saltiel von den Solal, der Onkel des schönen Solal, ein Greis von vollkommener Güte, treuherzig und feierlich, jetzt fünfundsiebzig, so sympathisch mit seinem rasierten, von kleinen liebenswürdigen Falten durchzogenen feinen Gesicht, seinem Schopf weißer Haare, seiner schräg aufgesetzten Bibermütze, seinem haselnussbraunen Gehrock mit der Blume im Knopfloch, seinen kurzen, unter dem Knie von einer Schnalle zusammengehaltenen Hosen, seinen taubenhalsfarbenen Strümpfen, seinen Schuhen mit den altsilbernen Schnallen, seinem Ohrring, seinem gestärkten Schülerkragen, seinem indischen Schal über den fröstelnden Schultern und seiner geblümten Weste, zwischen deren Knöpfe er oft zwei Finger steckt, da er ebenso in Napoleon vernarrt ist wie in das Alte Testament und sogar auch insgeheim in das Neue.
Hier ist Pinhas von den Solal, auch Eisenbeißer, auch Kapitän der Winde genannt, selbsternannter Advokat und Arzt ohne Diplom, hochgewachsen, schwindsüchtig, gegabelter Bart und wettergefurchtes Gesicht, wie immer mit Zylinder und über der haarigen Brust geknöpftem Gehrock, aber an diesem Tag mit Nagelstiefeln, die er für die Schweiz als unerlässlich erklärt hatte. Soviel zu ihm.
Hier ist Mattathias von den Solal, auch Harzkauer genannt, auch Witwer aus Sparsamkeit genannt, ein hagerer Mann, ruhig und umsichtig, gelbe Haut, blaue Augen und spitze Ohren, bewegliche Anhängsel, die stets auf gewinnbringende Geräusche lauschen. Er ist einarmig, und sein rechter Arm endet in einem großen Kupferhaken, mit dem er sich den geschorenen Schädel kratzt, wenn er die Zahlungsfähigkeit eines Darlehensuchenden überschlägt.
Hier ist der schwitzende und würdevolle Fünfziger Michael von den Solal, der herausgeputzte Schammes des
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