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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Idee. Ach du lieber Himmel, da ruft er schon wieder!«
    Sie traten ins Vestibül und blickten nach oben. Herr Deume steckte bis über den Kopf in seinem gestärkten Hemd fest und stöhnte mit einer Stimme, die aus einem Kerker zu dringen schien: »Ich komme nicht in mein Hemd hinein, es klebt überall an mir!« Nach einigen verzweifelten Armbewegungen gelang es dem kleinen Seehund, seinen Kopf durchzustecken, er lächelte und bat ein weiteres Mal um Verzeihung, gestört zu haben. Aber einige Minuten später, als Adrien gerade die Tür öffnete und gehen wollte, erscholl ein weiterer Hilferuf: »Ich kriege meinen Kragen nicht zu! Ich bin dicker geworden!«
    »Ach bitte, mein Schatz«, sagte Frau Deume leise, »hilf ihm ein bisschen. Wenn er frühzeitig fertig ist und es im letzten Moment keine Dramen gibt, bin ich eine große Sorge los.«
    »Schön, aber ich gehe erst einen Augenblick zu Ariane, um zu sehen, ob sie wach ist.«
    »Nur Mut, mein Didi, sei stark. Ich werde, wenn auch verspätet, mein Mittagsschläfchen halten, aber ich muss es tun, es ist meine Pflicht, denn heute brauche ich all meine Kräfte für die schwierige Aufgabe, die ich eigentlich gerne mit deiner lieben Ehefrau geteilt hätte. Nun ja, man muss sich eben mit Freuden opfern und trotzdem lieben«, schloss sie mit einem furchterregenden Engelslächeln.

***

    Herr Deume gab sich in seinem viel zu engen Smoking alle Mühe stillzuhalten, während Adrien versuchte, ihm den Vatermörder zuzuknöpfen. Aber es war nicht leicht. Der kleine Alte blickte gen Himmel und murmelte erbost vor sich hin: »Oh, wenn ich den Erfinder des Vatermörders in die Finger bekomme!« Er lehnte sich mit solchem Eifer zurück, dass er einen Blumentopf vom Tisch stieß, der auf dem Boden zerbrach. Die beiden Männer versteckten eiligst das Corpus Delicti. Sie hatte bestimmt nichts gehört, denn der Topf war auf den Teppich gefallen. Doch schon rief Frau Deume herauf: »Was hast du da oben zerbrochen?« Herr Deume antwortete zaghaft, er habe nur einen Sessel umgestoßen, und vertraute Adrien, der erneut mit Kragen und Kragenknopf kämpfte, eine schwere Sorge an: Sollte er sich vor dem Gast verneigen, bevor er vorgestellt wurde?
    »Nein, erst wenn ich Sie vorstelle.«
    »Soll ich mich tief verneigen oder nur ein wenig?«
    »Nur ein wenig.«
    »Ich kenne mich«, sagte Herr Deume, immer noch in Habachtstellung, um Adrien die Arbeit zu erleichtern. »Ich werde so beeindruckt sein, wenn ich ihn sehe, dass ich mich gleich verneige, ob ich will oder nicht. Jedenfalls hoffe ich, dass das Verneigen oder das Ssprechen bei Tis den verflixten Kragen nicht zum Platzen bringt. Denn ich muss doch sließlich ein bisschen Konversation machen. Pass auf, du erwürgst mich!«
    »Geschafft! Der Kragen ist zugeknöpft.«
    »Danke, sehr nett von dir. Also, was das Verneigen betrifft, wie tief sollte ich mich deiner Meinung nach verneigen? Genügt es etwa so, wie ich es jetzt mache? Und dann gibt es in diesem verflixten Buch noch eine Sstelle, die mir Sorge macht. Ich werde sie dir vorlesen. (Um Adrien nicht beim Binden der Fliege zu stören, hielt der kleine Seehund seinen Leitfaden für gutes Benehmen über den Kopf seines Adoptivsohns und las: ›In einem Salon wirkt die erhobene Sstimme ungezwungener, wohlerzogener und moderner.‹) Eine erhobene Sstimme, wäre das deiner Meinung nach so?«, fragte er und stieß einen kleinen unartikulierten Schrei aus.
    »Vielleicht«, erwiderte Adrien zerstreut, in Gedanken bei Ariane und sich fragend, warum sie ihm eben so seltsam durch die Tür geantwortet hatte.
    »Oder so?«, schrie Herr Deume.
    »Papi, halt still, sonst kann ich die Fliege nicht binden.«
    »Dann denkst du also wirklich, dass zum Beispiel das nicht zu laut ist?«, brüllte Herr Deume. (Und um sich an diese seltsame Gesellschaftsregel zu gewöhnen, fuhr er donnernd fort:) »Herr Untergeneralsekretär, Didi bindet mir gerade meine Smokingfliege!«
    »Was ist los?«, keifte Frau Deume von unten. »Warum schreist du so?«
    »Ich mache mondäne Konversation!«, schrie Herr Deume zurück, der einen seiner kühnen Augenblicke hatte. »Um ungezwungen und modern zu wirken! Aber hör mal, Didi, findest du das nicht auch ein bisschen komis? Denn wenn wir alle fünf so drauflos sreien, ist es ja das reinste Tollhaus, will mir sseinen. Aber wenn es zum guten Ton gehört, will ich es gerne tun, nur wird man kaum noch das eigene Wort versstehen. Aber es sstimmt, es macht Mut, wenn man so sreit, man

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