Die Schöne des Herrn (German Edition)
kommt sich wichtig vor. (Adrien nahm die Brille ab und fuhr sich mit der Hand über die Augen.) Hast du Sorgen, Didi?«
»Sie hat so komisch mit mir geredet, als ich eben an ihrer Tür war. Dabei habe ich sie nur gefragt, welches Kleid sie heute zum Diner anziehen wolle. (Er schnäuzte sich und blickte in sein Taschentuch.) Und sie hat mir geantwortet: ›Aber ja doch, gewiss, ich werde mein schönstes Kleid anziehen für diesen Herrn!‹«
»Na, das ist doch keine slechte Antwort, will mir sseinen.«
»Es war der Ton. Sie war verärgert, das war es.«
Mit seiner gewohnten Geste strich sich Herr Deume über seinen langen Schnurrbart, der bis zu seinem Ziegenbärtchen reichte, setzte seine Gehirnzellen in Bewegung und suchte nach einem tröstenden Wort.
»Weißt du, Didi, die jungen Frauen sind eben manchmal ein bisschen nervös, aber das geht vorüber.«
»Auf Wiedersehen, Papi. Ich habe Sie sehr gern, das wissen Sie ja.«
»Ich dich auch, Didi. Mach dir keine Sorgen. Im Grunde ist sie sehr lieb, das kann ich dir versichern.«
Als der Wagen seines Adoptivsohns verschwunden war, stieg Herr Deume wieder in sein Zimmerchen hinauf und schloss von innen zu. Nachdem er ein Kissen auf den Boden gelegt und die Hose hochgezogen hatte, um sie am Knie nicht auszubeulen, kniete er nieder, rückte sich die Zahnprothese zurecht und betete zum Ewigen, er möge seinen Adoptivsohn beschützen und seiner geliebten Ariane ein Kind schenken.
Nachdem er sein Gebet beendet hatte, das nicht das hässlichste war, das an diesem Tag zum Himmel stieg, jedenfalls gewiss viel aufrichtiger als die frommen Bittgesuche seiner Gemahlin, erhob sich dieser bärtige Engel in der Gewissheit, dass in neun Monaten alles besser gehen würde, oder vielleicht schon vorher, denn wenn Ariane erst einmal wüsste, dass sie ein Kind erwartete, wäre sie bestimmt sanft und gefügig. Beruhigt legte er das Kissen auf seinen Platz zurück, bürstete die Hose und setzte sich in den Sessel. Seine runden Chamäleonaugen auf den Leitfaden für gutes Benehmen gerichtet und stumm seine Lippen bewegend, nahm er seine Lektüre wieder auf, während er das weinrote Muttermal auf der Wange kraulte, das er seinen großen Schönheitsfleck zu nennen pflegte.
Bald hatte er jedoch genug davon, klappte das Buch zu, stand auf und suchte nach einer Beschäftigung. Die Scheren des Hauses schleifen? Ein Kinderspiel, denn man brauchte nur mit der Schere in ein Blatt Sandpapier zu schneiden, und schon war es geschehen. Ja, aber Antoinette würde sagen, jetzt sei nicht der richtige Augenblick. Schön, dann würde er es eben morgen machen, wenn man diese verflixte Einladung, bei der man schreien musste, um mondän zu sein, endlich hinter sich hatte.
Er setzte sich wieder und gähnte. Ach, wie unbequem fühlte man sich doch in diesem Smoking von Herrn Leerberghe. Der liebe kleine Mann knöpfte die ersten beiden Knöpfe der Hose auf, wo sie zu sehr drückte, schlug sich zum Zeitvertreib kräftig mit der flachen Hand auf sein rundes Bäuchlein und stellte sich vor, er sei der Häuptling eines Negerstammes, der die Seinen mit dem Tamtam zu sich rief.
XV
Die Passanten in der Rue du Mont-Blanc drehten sich um, um den kleinen alten Mann mit der Bibermütze, den Kniehosen und den taubenhalsfarbenen Strümpfen zu betrachten, ohne jedoch allzu überrascht zu sein, denn sie hatten sich inzwischen an die Fauna des Völkerbundes gewöhnt. »Was tun?«, fragte sich Onkel Saltiel, der mit kleinen Schritten dahineilte, bisweilen stehenblieb, um einem Kind die Wange zu tätscheln, und dann wieder mit krummem Rücken seinen Weg und seine Gedanken weiterverfolgte.
»Kurz und gut, ja.«
Kurz und gut, ja, das musste er tun, er musste diesem christlichen Fräulein eine israelitische Konkurrentin erster Wahl gegenüberstellen. Doch wo sollte er sie hernehmen? Mit dem Rabbiner, der krank war, hatte er nicht sprechen können, und der Dummkopf von Synagogendiener hatte nur die Tochter eines Schlächters auf Lager, die bestimmt weder Gedichte kannte noch über den Schnee zu gleiten vermochte. Auf Kephalonia zurückgreifen? Schauen wir mal, welche heiratsfähigen Mädchen gäbe es dort? Er konnte sie an den Fingern abzählen. Acht, aber nur zwei, die in Frage kamen. Die Enkeltochter von Jakob Meschullam, die über eine gute Mitgift verfügte und nicht schlecht aussah, abgesehen davon, dass ihr ein Zahn fehlte, und leider war es ein Vorderzahn. Man könnte sie rasch zum Zahnarzt schicken. Aber nein, er
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