Die Schöne des Herrn (German Edition)
Glockenspiel von Westminster, in Holz gebrannte oder phosphoreszierende oder federgestickte Bibelsprüche und zwei Ölgemälde, von denen das eine einen kleinen Kaminkehrer beim Murmelspiel mit einem Bäckerjungen und das andere einen beim Mittagsmahl sitzenden und eine niedliche weiße Katze neckenden Kardinal darstellte. Über dem Bett eine Vergrößerung der rundlichen und lächelnden ersten Madame Deume mitsamt den Daten ihrer Geburt und ihres Todes. Da und dort kleine Deckchen, Lampenuntersätze, eichelförmige Lampenschirme, gehäkelte Kopfpolster, Fußschemel und Fußwärmer, vor Luftzug schützende Wandschirme, eine Bürstengarnitur aus Schildpatt, Handschuhkästen, ein Blumentischchen mit synthetischem Moos und künstlichen Blumen, Heidekraut, Obertöpfe aus gehämmertem Zinn, Glaswaren von Gallé, ein glatzköpfiger Zwerg als Streichholzhalter, Briefwaagen, Riechsalz und Eibisch-Hustenpastillen.
Die knochige und unendlich lange Frau Deume hielt ausgestreckt auf ihrem Bett, die Hände mit den braunen Warzen über der Brust gefaltet, die schiefen Zähne auf dem bleichen Kissen der Unterlippe ruhend, ihren verspäteten Mittagsschlaf und schnarchte in der Überzeugung ihrer wohlverdienten Ruhe. Dann erwachte sie jäh, schlug die Steppdecke zurück, schwang die Füße mit den eingewachsenen Nägeln aus dem Bett und erhob sich in ihrem nicht sehr eleganten, aber praktischen Négligé. Da es nämlich gegen Abend immer kühler wurde, trug sie nicht mehr die üblichen Hosen aus Madapolam, sondern schlaffe wollene Männerunterhosen, die ihr bis zu den Knöcheln gingen und alles andere als eng anlagen; diese vorne und hinten geschlitzten Unterhosen waren innen mit Molton gefüttert und von außen – wie praktisch – senffarben, und an der Stelle des Gesäßes waren sie mit einem Hosenboden aus lila geblümtem Perkal verstärkt.
Nachdem sie ein paar Yogaübungen gemacht hatte, um sich in Einklang mit dem Universum zu setzen (sie hatte vor kurzem ein vage buddhistisches Buch gelesen und nicht viel verstanden, aber das mit dem Universum hatte ihr sehr gefallen), legte sie sich auf den Teppich, hob die Füße und stützte sie auf einen Schemel, um sich zu entspannen; dann schloss sie die Augen und rief sich beruhigende und konstruktive Gedanken ins Bewusstsein, unter anderem das lebhafte Interesse, das Gott für sie hegte. Um halb fünf stand sie auf, denn jetzt wurde es Zeit, sich fertigzumachen, die Aushilfe musste in einer Stunde kommen. Nachdem sie liebevoll in den Fächern ihres großen Spiegelschranks ihre großen Reserven an Haus- und Leibwäsche betrachtet hatte, zog sie sich eine orangerote Untertaille an, dann einen Unterrock und schließlich ihr neues Kleid mit eingesetzter Spitze. Sie steckte sich Tante Lisas Broschenuhr in Brusthöhe an, schob ein nach Lavendel duftendes Taschentuch in ihren schwammigen, weichen und keuschen Busen und hängte sich eine lange Halskette um, an der verschiedene goldene Anhängsel baumelten: ein vierblättriges Kleeblatt, die Zahl 13 in einem Quadrat, ein kleines Hufeisen, ein zweispitziger Generalshut, eine winzige Laterne. So geschmückt, schritt sie würdevoll die Treppe hinunter, majestätischer als eine Königinmutter.
Nach einem kurzen Besuch in der Küche, wo sie es sich nicht verkneifen konnte, dem Dienstmädchen gegenüber eine herablassende Bemerkung fallen zu lassen (»Man sieht doch gleich, dass Sie aus einem volkstümlichen Mijöh stammen, mein armes Kind«), der sie allerdings sogleich das übliche Lächeln unerbittlich praktizierter Nächstenliebe folgen ließ, ging sie den Salon inspizieren, in dem ihr alles perfekt zu sein schien. Trotzdem verrückte sie noch drei Sessel und schob sie näher an das Sofa heran, um eine intime Ecke zu schaffen. Das Sofa für sie und Hippolyte, der Gast in dem mittleren Sessel, der am bequemsten war, und Didi und seine Frau in den beiden anderen Sesseln. Zwischen Sofa und Sesseln das hübsche marokkanische Tischchen mit den Spirituosen, den Zigaretten und den Luxuszigarren. Ja, alles war in Ordnung. Prüfend fuhr sie mit dem Zeigefinger über das Tischchen. Kein Staub. Wenn alle saßen, würde sie Kaffee oder Tee anbieten, und dann würde man Konversation machen. Ein gutes Thema wären die van Offels. »Langjährige Freunde und sehr feinfühlig.« Diese Andeutung einer Generalprobe wurde von Herrn Deume unterbrochen, der vom ersten Stock aus fragte, ob er für einen Moment herunterkommen könnte, und versprach, nichts schmutzig
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