Die schöne Diebin
ich fest entschlossen, den Übeltäter zu fangen, auch wenn ich bisher von seinen Raubzügen verschont geblieben bin.“
Ihm war aufgefallen, dass Miss Habersham bei der Erwähnung ihres Namens kurz hochgeschaut hatte. Einen Moment lang blitzten kluge grüne Augen hinter den dicken Brillengläsern auf. Doch schon senkte sie wieder den Kopf.
Selbst für Brandon, der sich für einen Frauenkenner hielt, stellte sie ein Rätsel dar. Einerseits benahm sie sich wie eine typische alte Jungfer. Andererseits war ihre Haut makellos und ihre Figur hinreißend weiblich. Ihre Augen zeugten von einer raschen Auffassungsgabe und einer wachen Intelligenz. Waren ihre Schüchternheit und die Nervosität, mit der sie auf den männlichen Gast reagiert hatte, nur vorgetäuscht? Und wenn ja, warum spielte Eleanor Habersham diese Rolle?
Darüber musste er in Ruhe nachdenken. Es war sowieso an der Zeit, sich zu verabschieden. Länger als fünfzehn Minuten sollte ein erster Höflichkeitsbesuch nicht dauern.
„Hätten Sie die Güte, mich zur Tür zu begleiten, Madam?“ Noch einmal bedachte er die ältere (oder auch nicht so alte) Dame mit jenem Lächeln, das schon so oft Frauenherzen zum Schmelzen gebracht hatte. „Ich würde gern kurz über Ihre Sicherheit mit Ihnen sprechen.“
Sie traten in den Flur hinaus.
„Ich mache mir Sorgen um Sie, Miss Habersham. Wer beschützt Sie, wenn der Einbrecher auch bei Ihnen auftauchen sollte? Möchten Sie, dass ich Ihnen einen meiner eigenen Wachleute schicke?“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen – aber auch absolut unnötig.“
„Sie sollten die Gefahr nicht unterschätzen!“
„Es besteht keine Gefahr.“ Ihre nasale Stimme klang völlig ruhig. „Ich besitze nichts, was einen Dieb interessieren könnte, kein wertvolles Silberbesteck, keinen Schmuck, kein wertvolles Porzellan. Meine Mittel sind leider beschränkt.“
„Das weiß The Cat möglicherweise nicht. Ich fürchte, Sie müssen durchaus mit einem Besuch des Einbrechers rechnen. Und dann sollten Sie vorbereitet sein.“
Sie hatten die Haustür erreicht. Obwohl Miss Habersham sich höflich und ehrerbietig ihm gegenüber benahm, spürte Brandon deutlich, dass sie froh war, ihn loszuwerden.
„Es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, dass Sie sich um eine einfache Frau wie mich Sorgen machen“, sagte sie. „Sollte ich irgendwann das Gefühl haben, Hilfe zu brauchen, werde ich Ihnen Bescheid geben. Auf Wiedersehen, Mylord.“
Ein wenig verdutzt über diesen Abschied fand Brandon sich auf der Straße wieder. Das war wirklich ein seltsamer Besuch gewesen! Entgegen seinem Versprechen war der Squire gar nicht aufgetaucht. Und Miss Habersham war eindeutig nicht, was sie zu sein vorgab.
Ein Rätsel, das es zu lösen galt!
3. KAPITEL
Nora ließ sich auf einen Stuhl fallen. Endlich allein! Sie hatte schon gedacht, ihre Gäste würden sich nie verabschieden. Im Allgemeinen blieben die Damen, die zum Tee kamen, für knapp zwei Stunden. Doch diesmal hatte keine daran gedacht, aufzubrechen. Immer wieder war der Besuch des Earls in allen Einzelheiten besprochen worden.
Grässlich, diese Klatschbasen!
Nora entfernte die Haarnadeln, die die graubraune Perücke an ihrem Platz hielten, und warf diese auf den Tisch. Aufseufzend schüttelte sie den Kopf, bis ihr eigenes Haar ihr in weichen Wellen über die Schultern fiel. Wer hätte gedacht, dass es unter der Verkleidung so heiß und unangenehm werden würde?
Sie trat zu ihrem Frisiertisch, öffnete eine Schublade und legte die Brille hinein. Auch deren Gewicht war ihr zum Schluss überaus lästig gewesen. Sie rieb sich die Nasenwurzel. Manchmal war sie es wirklich leid, die Rolle der Eleanor Habersham zu spielen!
Zu Beginn hatte die Teegesellschaft ihr noch gut gefallen. Alice Bradley hatte sich laut und ausführlich über die Unternehmungen des Einbrechers beschwert. Die Frau des Squire liebte es zu klagen. Es war nicht zuletzt ihr zu verdanken, dass The Cat so rasch eine Berühmtheit geworden war.
Und das war wichtig, um die gesteckten Ziele zu erreichen: Einerseits brauchte sie die wertvollen Kleinigkeiten, die sie stahl, um von dem Verkaufserlös Lebensmittel für die Ärmsten zu besorgen. Andererseits wollte sie alle, die den Bau der neuen Textilfabrik unterstützten, verunsichern. Wenn man diese Geschäftsleute nur oft genug beraubte, würden sie Stockport-on-the-Medlock irgendwann verlassen. Sie würden das Interesse an der Fabrik verlieren. Wenn niemand mehr in die neuen
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