Die schöne Diebin
uns und unser Vaterland. Deshalb setze ich mich für den Bau der Tuchfabrik in Stockport-on-the-Medlock ein.“
Diese Bemerkung bewies, wie weit er sich von den Ansichten der meisten anderen Adligen in England entfernt hatte. Fast alle betrachteten nur den als echten Gentleman, der keiner Erwerbsarbeit nachging, sondern seine Tage dem Müßiggang widmete. Es galt als Schande, sich im Handel zu betätigen oder gar Interesse an den neuen Industrieanlagen zu zeigen. In Brandons Augen bewies ein solches Verhalten allerdings nur, dass diese angebliche Elite nicht begriffen hatte, wie dicht der Untergang des alten von der Landwirtschaft geprägten Lebens bevorstand.
Noch vier Schritte.
„Die Tuchfabrik, die Sie und Ihre Freunde planen, wird Existenzen vernichten. Die Familien hier brauchen das Geld, das die Frauen daheim als Weberinnen verdienen. Ihre Tätigkeit aber wird überflüssig gemacht, sobald die neue Fabrik fertig ist. Was Sie vorhaben, wird dazu führen, dass viele Männer und Frauen ihre Arbeit verlieren. Diese Menschen werden einfach durch Maschinen ersetzt. Dabei gibt es schon jetzt Tausende, die keine Arbeit finden und nicht wissen, wie sie ihre Familie ernähren sollen. Sie können nicht genug Lebensmittel kaufen, und ihre Wohnungen sind kalt, weil es an Feuerholz fehlt.“
Sie holte tief Luft, und ihre Augen blitzten kampflustig auf, als sie fortfuhr: „Sie aber, Mylord, machen es sich in Ihrem großen, gut geheizten Haus gemütlich und bewirten Männer, die genau wie Sie im Überfluss leben. Gemeinsam mit ihnen schmieden Sie Pläne, deren Verwirklichung das Dasein der Armen noch elender machen wird. Das nenne ich ein Verbrechen!“
Brandon schüttelte den Kopf und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr die feurige Rede der jungen Frau ihn beeindruckt hatte. Nicht etwa, weil er ihre Ansichten teilte, sondern einfach, weil er Menschen bewunderte, die sich mit ganzer Kraft für ihre Überzeugung einsetzten. Trotzdem war es natürlich eine Unverschämtheit, dass dieser Wildfang sich anmaßte, über ihn zu urteilen.
„Merkwürdig“, sagte er, „ich hatte den Eindruck, dass nicht wir, sondern Sie gegen das Gesetz verstoßen, indem Sie uns bestehlen.“
Noch drei Schritte.
„Ich nehme nie viel. Tatsächlich ist es so wenig, dass Sie und Ihresgleichen den Verlust kaum spüren.“ Um ihre Worte zu beweisen, hielt sie ein einzelnes Schmuckstück hoch, einen schmalen Goldring, in dem ein Amethyst glitzerte.
Brandon musste ein Stöhnen unterdrücken. In seinem Schlafzimmer gab es eine Menge Dinge von großem Wert. Auf jedes davon hätte er eher verzichten mögen als auf den Ring. „Das Schmuckstück hat eine besondere Bedeutung für mich“, erklärte er, bemüht, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. „Geben Sie es zurück!“ Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.
Zwei Schritte noch.
Er streckte die Hand aus, so sicher war er sich, dass niemand es wagen würde, sich einem Befehl aus seinem Munde zu widersetzen. Insbesondere Frauen beeilten sich im Allgemeinen, seinen Wünschen nachzukommen.
Nicht so diese! Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich kann den Ring leider nicht hergeben. Er wird zwei Familien eine Zeit lang satt machen.“
„Mindestens zwei“, stimmte Brandon zu, ehe er in drohendem Ton fortfuhr: „Ich habe gesagt, Sie sollen ihn zurückgeben, Sie kleine Diebin. Jetzt! Wir wollen doch beide nicht, dass ich Ihnen wehtue.“
Noch ein Schritt, und er stand so dicht vor ihr, dass er sie beinahe berührte. Eine schwarze Halbmaske verbarg den oberen Teil ihres Gesichts. Ihre grünen Augen glitzerten tatsächlich wie die einer Katze. Ein dunkles Tuch, nach Piratenart gebunden, bedeckte ihr Haar.
Es hätte ihn keine Anstrengung gekostet, sie jetzt zu ergreifen. Seltsamerweise schien sie keine Furcht zu verspüren. Mit einer anmutigen Bewegung hob sie den Arm und löste den Knoten, der das Tuch zusammenhielt. Sie zog es herunter und schüttelte ihre Mähne, bis sie ihr in wilden Locken über die Schultern bis zur Taille fiel. Noch eine kleine, aufreizende Bewegung …
Bei Jupiter, sie ist eine richtige Verführerin! Wie weiblich sie aussieht, wie hinreißend!
„Also gut“, sagte sie. „Sie sollen Ihren Ring zurückbekommen. Allerdings erwarte ich dafür eine angemessene Entschädigung.“
Sie musterte ihn so eingehend, dass Brandon sich plötzlich äußerst unwohl fühlte. Im Allgemeinen war er es, der solch kritische Blicke einsetzte, um andere in
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